Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 haben die 27 EU-Staaten elf Sanktionspakete gegen den Aggressor verabschiedet. Öl, Kohle, Stahl, Holz und vieles andere darf seither nicht mehr mit Russland gehandelt werden. Aber eine große Lücke im Sanktionsregime blieb: Rohstoffe, die als „kritisch“ oder „strategisch“ eingestuft werden - 34 an der Zahl – kauft die EU-Industrie weiterhin im großen Still bei russischen Produzenten.
Während einige der westlichen Verbündeten der Ukraine Russlands Bergbausektor mit Sanktionen belegt haben – Großbritannien etwa hat kürzlich den Import von russischen Kupfer, Aluminium und Nickel verboten -, setzt die EU den Handel fort. Airbus und andere europäische Unternehmen kaufen mehr als ein Jahr nach der Invasion immer noch Titan, Nickel und andere Rohstoffe von Firmen, die dem Kreml nahestehen.
So importierte die EU vom März 2022 bis zum Juli 2023 Rohstoffe im Wert von 13,7 Milliarden Euro aus Russland (siehe Grafik). Das ergab eine Auswertung der Daten von Eurostat und der Gemeinsamen Forschungsstelle der EU. Demnach flossen auch in diesem Jahr bis Juli bereits 3,7 Milliarden Euro aus der EU in russische Kassen, ein Drittel davon allein für Nickel, das für den Korrosionsschutz für Stahl gebraucht wird.
Auf die Frage, warum nicht auch der Import dieser Rohstoffe aus Russland verboten wurde, antwortet David O'Sullivan, der EU-Sonderbeauftragte für Sanktionen lakonisch: „Eben weil sie kritisch sind.“ Unverzichtbar sind sie vor allem für Elektronik, Solarpaneele und Elektroautos, und damit für die Umsetzung der europäischen Klimaziele. Mindestens so wichtig sind sie auch für die Flugzeug- und Rüstungsindustrie, und damit letztlich auch die Waffenproduktion für die Ukraine.
Safran bestätigte, dass es weiterhin Titan von Vsmpo-Avismo bezieht, aber daran arbeitet, seine Einkäufe in Russland zu reduzieren. GGP Metal Powder sagte: „Es gibt keine echte Alternative zu unserem Lieferanten aus Russland“. C. Steinweg sagte, man halte sich an alle Regeln und Sanktionen. Elval Halcor, Vsmpo-Avisma, Rusal und Nornickel antworteten nicht auf Bitten um Stellungnahme.
All diese Firmen seien „Teil des Systems und heizen Putins Krieg an“, kritisiert Roland Papp, Senior Policy Officer von Transparency International. „Daher wäre es nur logisch, diese kritischen Rohstoffe aus Russland zu verbannen, wie wir es auch bei anderen Sektoren und Waren getan haben.“ Die lähmende Abhängigkeit hätte schon früher eingedämmt werden müssen, meint er. „Wir hatten genug Zeit, um zu reagieren. Die Annexion der Krim war im Jahr 2014. Aber wir haben unsere Abhängigkeit von Russland erhöht. Das war ein schwerer Fehler.“
Warum das bis heute weiter läuft, dazu wahren die Verantwortlichen bei EU-Kommission und -Regierungen peinliches Schweigen. Ein EU-Beamter, der aber nicht genannt werden will, erklärte das gegenüber IE so: „Die Sanktionen sind sorgfältig darauf ausgelegt, ihre Ziele zu erreichen und gleichzeitig die Interessen der EU zu wahren.“
Ein polnischer Diplomat sagte, gleichfalls nur anonym, seine Regierung habe sehr wohl die EU gedrängt, sich „vollständig von Russland abzukoppeln, aber im Interesse der Einheit und der Effizienz bei der Verabschiedung neuer Sanktionspakete haben wir uns darauf geeinigt, bestimmte Maßnahmen bis zur weiteren Diskussion zu verschieben.“ Diskussionen hat es also durchaus gegeben, aber nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Tatsächlich wäre der Ausstieg aus der Rohstoffbeschaffung in Russland schwierig. Zu Beginn des Krieges war Europa für 30 Prozent seines Nickelverbrauchs, 35 Prozent des Bedarfs an Tonerde und 15 Prozent der Aluminiumimporte auf russische Produzenten angewiesen, wie aus einem internen Vermerk der Handelsorganisation Eurometaux hervorgeht, der von IE eingesehen wurde. Auf Russland entfielen zudem 41 prozent der weltweiten Produktion von Palladium und bis zu 25 Prozent der von Vanadium. Ein zu schneller Abbruch der Beziehungen könnte zu einem weltweiten Preisanstieg führen, der den europäischen Abnehmern zwar schaden aber dem Regime in Moskau sogar nutzen würde.
Darauf deuten auch die jüngsten UN-Handelsdaten hin. Demnach ging zwar das Volumen der EU-Einfuhren von russischem Nickel und Aluminium in den letzten zwei Jahren zurück, weil einige Unternehmen freiwillig zu anderen Lieferanten wechselten. Doch die Einnahmen für die russischen Exporteure blieben stabil. Ihre Nickelverkäufe in die EU hatten in der ersten Hälfte des Jahres 2021 einen Wert von einer Milliarde Dolar, zwei Jahre später waren es immer noch 1,1 Milliarden Dollar.