EU-Abgeordnete fordern Schutz für Journalisten und stellen sich gegen den Rat

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Harald Schumann || ""
Harald Schumann
Alexander Fanta || ""
Alexander Fanta
17. Juli 2023
Ein neues EU-Gesetz zur Medienfreiheit soll die Presse vor Überwachung schützen. Die EU-Regierungen wollen das Gesetz mit einer Blanko-Ausnahme im Namen der „nationalen Sicherheit“ aushöhlen. Aber das wollen EU-Parlamentarier verhindern. In Brüssel bahnt sich ein harter Streit um die Pressefreiheit an.
Wenn Journalisten ihre Quellen nicht schützen können, ist die Pressefreiheit bedroht. Fälle staatlicher Überwachung in Ungarn und Griechenland sorgen daher für Empörung: Dort ließen Regierungsbehörden Handys von Medienarbeitern unter Berufung auf den Schutz der „nationalen Sicherheit“ hacken. Das Redaktionsgeheimnis bleibt dabei auf der Strecke.

Um solchen Überwachungsmaßnahmen gegen journalistische Arbeit einen Riegel vorzuschieben, hat die EU-Kommission das Europäische Medienfreiheitsgesetz vorgeschlagen. Diese Verordnung soll unter anderem einen europaweiten Standard für den Quellenschutz schaffen; der Einsatz von Spionagesoftware gegen Journalisten soll weitgehend verboten werden. Die Regierungen der EU-Staaten haben bei den geheimen Verhandlungen im Rat beschlossen, diese Schutzbestimmungen durch eine Blankoausnahme für die „nationale Sicherheit“ stark abzuschwächen, wie Investigate Europe und netzpolitik.org zuletzt berichteten.

Abgeordnete gegen Blankoausnahme für nationale Sicherheit

 Dagegen wehrt sich nun das Europaparlament. Abgeordnete im Innenausschuss (LIBE) fordern in einem fraktionsübergreifenden Entwurf breite Schutzmaßnahmen für Journalist:innen. Sie wollen die Beschlagnahme und das Hacken von Geräten zwar ebenfalls nicht komplett verbieten. Allerdings dürften solche Maßnahmen nur mit justizieller Kontrolle bei Ermittlungen in schweren Straftaten angeordnet werden, und nur, wenn andere Ermittlungsmöglichkeiten erschöpft seien. Überwachung dürfe nicht zur Preisgabe journalistischer Quellen führen. Eine Ausnahme für "nationale Sicherheit", wie sie der Rat wünscht, sieht der Entwurf der EU-Abgeordneten ausdrücklich nicht vor.

„Wir geben dem einen strikten Rahmen“, sagt der EU-Abgeordnete Daniel Freund. Der deutsche Grüne hat den Kompromisstext, den netzpolitik.org und Investigate Europe im Volltext veröffentlichen, für seine Fraktion mitverhandelt. Wenn das Parlament seine Version durchsetze, könne der Missbrauch von Staatstrojanern durch Regierungen wie in Ungarn durch europäische Gerichte gestoppt werden, glaubt Freund. „Wir verbieten den Einsatz von Spyware gegen journalistische Tätigkeit an sich.“

Eine Ausnahmeregelung für nationale Sicherheit, wie sie der Rat wünsche, sei „vehement abzulehnen", betont die SPD-Abgeordnete Birgit Sippel. „Das Verbot des Einsatzes von Spähsoftware und der Schutz von verschlüsselter Kommunikation sind unerlässliche Eckpunkte der Position, welche das EU-Parlament in den Verhandlungen mit dem Rat unermüdlich verteidigen wird.“
 

Fälle wie in Ungarn und Spanien "nicht hinnehmbar"

 Vor einer Blankoausnahme warnt auch ein offener Brief von 65 Grundrechte- und Journalismusorganisationen. Fälle wie der Skandal um den Einsatz der Spyware Pegasus in Ungarn und Spanien oder Predator in Griechenland seien „in demokratischen Gesellschaften schlicht nicht hinnehmbar“, schrieben die NGOs an den Rat der EU-Staaten.
 
Bereits am Dienstag soll der Innenausschuss im EU-Parlament über den Textvorschlag der Abgeordneten abstimmen. Kriegt er dort wie erwartet grünes Licht, landet er mit großer Wahrscheinlichkeit in der Version des Gesetzestextes, über die das Plenum des Europaparlaments abstimmen soll.
 
Der Streit mit den EU-Staaten über den endgültigen Gesetzestext ist damit vorprogrammiert. Das EU-Parlament verhandelt darüber mit der EU-Kommission und dem Rat. Dort hatten hinter verschlossenen Türen Frankreich, aber auch Deutschland und andere Staaten auf die Ausnahme für "nationale Sicherheit" gedrängt. Darüber hinaus schwächt der Textentwurf des Rates das generelle Verbot von Überwachung und Inhaftierung von Journalisten sowie der Beschlagnahme von Geräten und Unterlagen zur Ermittlung ihrer Quellen aus dem ursprünglichen Vorschlag durch breite Ausnahmen. Die Positionen der Abgeordneten und des Parlaments sind somit völlig gegensätzlich - starker Schutz für Journalisten auf der einen, weit gefasste Ausnahmen auf der anderen Seite.
 
Das gefährdet womöglich auch die Verabschiedung Medienfreiheitsgesetzes insgesamt. Denn fraglich ist außerdem, ob die Verhandlungen noch vor dem Beginn des Wahlkampfs für Europawahlen im Juni 2024 abgeschlossen werden. Danach wird es neue Mehrheiten im Parlament geben. Zudem übernimmt Ungarn ab Juli 2024 als Ratsvorsitz die Führungsrolle bei Verhandlungen über neue Gesetze und wird die Verabschiedung gar nicht erst auf die Tagesordnung setzen, weil das Orban-Regime naturgemäß das ganze Vorhaben ablehnt. Die weitgehende Gleichschaltung  der ungarischen Medien würde mit dem Gesetz explizit gegen EU-Recht verstoßen. Soll eine Einigung über das Medienfreiheitsgesetz gelingen, drängt also die Zeit.

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