Luxusrenten-Fonds für EU-Parlamentarier vor der Pleite – Rettung mit Steuergeld geplant

Alexia Barakou

Von

Sigrid Melchior || ""
Sigrid Melchior
Pascal Hansens || ""
Pascal Hansens
Harald Schumann || ""
Harald Schumann
3. Mai 2023
Einem Fonds des EU-Parlaments für Luxusrenten seiner Ex-Mitglieder droht die Pleite. Die Profiteure, darunter Rechtsextreme wie Marine Le Pen und amtierende EU-Kommissare, fordern eine Rettung mit Steuergeld. Gegner sprechen von einem "System mit krimineller Energie". Die Abgeordneten erwartet ein giftiger Streit im kommenden Europawahlkampf.
Nigel Farage, langjähriger Anführer der britischen „Independence Party“ und Architekt des Brexit, hat Zeit seines Politikerlebens die europäischen Institutionen mit aller Härte bekämpft. „Ich liebe Europa, aber ich verachte die Europäischen Union“ lautet sein Motto bis heute. 

Doch der Furor des britischen Antieuropäers hat einen blinden Fleck: Er erhebt auf Kosten der EU-Steuerzahler Anspruch auf eine Luxusrente, von der die meisten Wähler nur träumen können

In sechs Jahren, nach seinem 65. Geburtstag, wird er für seine 21 Jahre als EU-Parlamentarier nicht nur die reguläre Pension von monatlich rund 6800 Euro plus Inflationsausgleich beziehen. Darüber hinaus kann Farage auch monatliche Zahlungen von weiteren 3500 Euro beanspruchen – und erhält damit für den Rest seines Lebens eine Pension von 120 Prozent seines Salärs als Abgeordneter.

Und das gilt nicht nur für Farage. Vergleichbare Luxuspensionen stehen auch der französischen Rechtspopulistin und Verächterin des „Diktats aus Brüssel“ Marine Le Pen in Aussicht, oder dem früheren polnischen EU-Parlamentarier der rechtsnationalen PiS-Partei und heutigen EU-Kommissar Janusz Wojciechowski.

Unter den Begünstigten sind zudem 905 weitere frühere und amtierende EU-Abgeordnete sowie deren Witwen und Waisen; darunter auch 15 deutsche Ex-EU-Abgeordnete wie der Liberale Alexander Graf Lambsdorf, der demnächst Botschafter in Moskau werden soll.
Nigel Farage, hier bei einer Pressekonferenz in Brüssel, ist einer der rund 900 Profiteure des freiwilligen Pensionsfonds.Shutterstock

Ex-Ausschussvorsitzende Gräßle: ’Eine Form von Diebstahl”

Sie alle eint, dass sie in den Jahren von 1990 bis 2009 Mitglied einer umstrittenen Vereinigung wurden, die bis heute unter dem Namen „Freiwilliger Pensionsfonds des Europäischen Parlaments“ firmiert. Diese private Gesellschaft nach luxemburgischen Recht sollte in den frühen Jahren des EU-Parlaments eigentlich dazu dienen, den bis dahin zum Teil wenig abgesicherten Parlamentariern eine faire Rente zu sichern.

Doch verborgen vor den Wählern „wurde mit geradezu krimineller Energie ein System geschaffen, das von Anfang an zum Scheitern verurteilt war“, meint heute der grüne Europaabgeordnete Daniel Freund, der im Ausschuss für Haushaltskontrolle mit dem Fonds befasst ist. 

Ganz ähnlich sieht das Inge Gräßle, bis 2019 Vorsitzende des Ausschusses und heute CDU-Bundestagsabgeordnete: „Diese Rentenzahlungen aus dem Extra-Fonds sind eine Form des Diebstahls, die wirklich skandalös ist.“
Dem Fonds droht nun ein Defizit von mehr als 300 Millionen Euro an Pensionsansprüchen, das mit Steuergeld gedeckt werden soll. Schon Ende nächsten Jahres könne dem Fonds das Geld ausgehen, heißt es in einem Memorandum des Generalsekretärs Alessandro Chiocchetti, das dem Journalistenteam Investigate Europe zuging.
Unvermeidlich müssen die Abgeordneten nun darum streiten, ob und mit wie viel Geld aus dem Parlamentshaushalt die Luxusrenten der Begünstigten gerettet werden sollen. Das droht im aufziehenden Europawahlkampf die Reputation des Parlaments noch weiter zu beschädigen, die nach dem Skandal um die Bestechungszahlungen aus Qatar ohnehin angeschlagen ist.

Die Entscheidung liegt bisher bei dem 20-köpfigen Präsidium des Parlaments. Dort haben allerdings auch drei der Begünstigten Sitz und Stimme: Dimitrios Papadimoulis, von der griechischen radikalen Linken, der lettische Nationalkonservative Roberts Zile und der österreichische Konservative Othmar Karas. Er und Zile sitzen sogar im Vorstand des privaten Pensionsfonds.

Haushaltsexperte Freund hält das für inakzeptabel. „Es kann nicht sein, dass die drei Abgeordneten jetzt über ihre eigene Zusatzrente entscheiden. Sie sollten sich zumindest nicht an den Debatten und Abstimmungen darüber beteiligen“, fordert er.

Die drei Betroffenen und Parlamentspräsidentin Roberta Metsola beantworteten Fragen von Investigate Europe zu diesem offenkundigen Interessenkonflikt zunächst nicht. Der Grieche Papadimoulos erklärte auf wiederholte Nachfragen am 2. Mai, er plane seine Ansprüche aus dem Fonds nicht wahrzunehmen. Der CDU-Abgeordnete Rainer Wieland, der die konservative EPP-Fraktion im Präsidium vertritt, erklärte, er tue sich zwar „schwer, da eine Verpflichtung auszusprechen. Aber ich fände es richtig, wenn die betroffenen Kollegen sich nur an der ersten Orientierungsdebatte beteiligen und sich dann heraus halten.“

Schuld an dem Debakel sind die Parlamentarier von einst, die sich selbst eine abenteuerliche Konstruktion bescherten. Da durften die Mitglieder ihre Beiträge zum „Fonds“ einfach aus ihrer üppigen Bürokostenpauschale bestreiten, und für jeden Euro zahlte das Parlament noch einmal zwei Steuereuro aus dem Haushalt obendrauf.  Dafür bekamen die Abgeordneten völlig überhöhte Pensionszusagen.

Auf Zahlungen über nur zwei Jahre garantierte das Parlament bereits eine Zusatzrente auf Lebenszeit, und das in einem Volumen, mit dem die Beiträge schon binnen vier Jahren zurückgezahlt waren. So führten Einzahlungen von lediglich 231 bis 359 Euro im Monat nach 10 Jahren zum Anspruch auf eine lebenslange Pension, die heute bei 3567 Euro liegt.
Das konnte gar nicht aufgehen. Schon 2004 schlug die Parlamentsverwaltung darum Alarm, als absehbar war, dass der Fonds versicherungsmathematisch in die Pleite fuhr. Das Präsidium beschloss daraufhin, die Beiträge zu verdreifachen, erneut zu zwei Dritteln auf Kosten der Steuerzahler.

Wäre es dabei geblieben, hätten die Zusatzzahlungen über die Jahrzehnte das drohende Defizit in einen Überschuss verwandelt, berichtet einer der Beteiligten, der nicht genannt werden möchte. Doch parallel dazu genehmigten sich die Parlamentarier mit Unterstützung aller nationalen Regierungen ab 2009 ein neues Parlamentsstatut, das ihnen eine normale Beamtenpension für ihre Parlamentsjahre sicherte.

Gleichzeitig schlossen sie den alten Fonds für weitere Mitglieder – und für alle Beitragszahlungen. So flossen die verdreifachten Beiträge nur knapp fünf Jahre, viel zu kurz, um die versprochenen Pensionszusagen zu decken. Trotzdem beschlossen die Parlamentarier aber, dass die bis dahin „erworbenen Rechte in vollem Umfang aufrechterhalten werden“.

Von den 20 Präsidiumsmitgliedern, die damals an der Abstimmung teilnahmen, waren 15 Begünstigte des Fonds. Dem Sitzungsprotokoll zufolge hat sich niemand wegen des Interessenkonflikts der Stimme enthalten. Nur ein Präsidiumsmitglied stimmte gegen die Maßnahmen, der damalige niederländische liberale Europaabgeordnete Jan Mulder.

Der Vorgang schlug schon damals hohe Wellen. Zahlreiche Abgeordnete schieden freiwillig aus dem Fonds aus und verzichteten damit auf ihre Ansprüche, darunter auch die heutigen grünen Bundesminister Claudia Roth und Cem Özdemir. Aber mehr als 900 scherten sich nicht um die Kritik und blieben dabei.

 Darum mobilisierte Mulder gemeinsam mit dem niederländischen Grünen Bart Staes und der deutschen CDU-Abgeordneten Gräßle jahrelang gegen drohende Nachzahlungen aus der Steuerkasse. Auf ihren Druck hin stimmte die Mehrheit seit 2011 bei den jährlichen Haushaltsdebatten immer wieder für „die Auffassung, dass dieses Defizit nicht mit Steuergeldern, sondern durch den Fonds selbst bezahlt werden sollte“, wie es in den Entschließungen stets hieß.

„Aber wir haben es nie geschafft, die Führung des Parlaments zum Zuhören zu zwingen“, bedauert Staes. „Die Mitglieder dieses Fonds hatten immer überall ihre Truppen, darum haben wir uns nicht so durchsetzen können, wie ich es mir gewünscht hätte“, berichtet auch Gräßle.

Vier EU-Kommissare profitieren

Und obwohl es um viele hundert Millionen Euro öffentlicher Gelder geht, wahrt die Führung des Parlaments maximale Intransparenz. Selbst die Anfrage zu den Namen der Begünstigten wies die Verwaltung unter Verweis auf den Datenschutz zurück.

Dabei kennen sich die Verantwortlichen offenbar selbst mit dem Rechtsstatus ihres halb privaten, halb staatlichen Fonds nicht aus. Im Luxemburger Unternehmensregister ist seit März eine Liste mit den Namen von immerhin 660 Mitgliedern des Fonds hinterlegt, die Investigate Europe vorliegt (die Liste gibt es hier zum Download). Interne Dokumente der Fondsverwaltung zeigen zwar, dass es insgesamt 908 Begünstigte gibt, und niemand mochte erklären, warum im Register 248 Namen fehlen.

Die Liste belegt gleichwohl, dass nicht nur ehemalige, sondern auch 21 amtierende EU-Parlamentarier bis heute Anspruch auf die Luxusrente haben. Aber alle von ihnen, darunter auch der hessische CDU-Politiker Michael Gahler, blieben auf die Frage, ob sie angesichts des Defizits bereit wären auf die Zusatzpension zu verzichten oder Kürzungen hinzunehmen, eine Antwort schuldig.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell ist ebenfalls Mitglied des Pensionsfonds.Shutterstock

Genauso halten es drei der vier amtierenden EU-Kommissare auf der Liste: Neben dem Polen Janus Wojciechowski sind das die portugiesische Sozialistin und Kommissarin für Regionalpolitik, Elisa Ferreira, die konservative irische Finanzkommissarin Mairead McGuinness und der spanische Vizepräsident der EU-Kommission und Außenbeauftragte Josep Borell.

McGuiness erklärte auf Anfrage, sie habe den Fonds schon 2009 verlassen, blieb aber eine Erklärung schuldig, warum die Verwaltung sie immer noch auf ihrer offiziellen Liste führt. Die übrigen drei Kommissare antworteten nicht auf Fragen zu ihrer Zusatzrente. Der 75-jährige spanische Sozialdemokrat Borell hatte allerdings zuvor schon gegenüber dem EU-Observer eingeräumt, dass er schon lange Zahlungen aus dem Extrafonds erhält, zusätzlich zu seinem monatlichen Gehalt von mehr als 20.000 Euro.

Doppelte und dreifache Pensionen auf Kosten der Steuerzahler

Die fehlende Scham bei der Anhäufung von Pensions- und Gehaltszahlungen ist es, die Inge Gräßle, die langjährige CDU-Abgeordnete besonders empört. „Fast alle dieser Leute schustern sich da doppelte oder sogar dreifache Pensionen zusammen, darunter ja auch frühere und amtierende Kommissare und Mitglieder des Rechnungshofes“, sagt sie.

Trotzdem ist nicht erkennbar, ob die EU-Parlamentarier ihre Wähler vor weiteren Zahlungen für die Luxusrenten bewahren wollen. Als die 20 Mitglieder des Präsidiums am 17. April darüber berieten, stellte Generalsekretär Chiocchetti ausweislich seiner Vorlage drei Optionen zur Diskussion: Die erste, den Fonds ohne Gegenmaßnahme einfach pleite gehen lassen, lehnte das Präsidium ab. Erwogen wurde dagegen, den Begünstigten anzubieten, das verbliebene Vermögen des Fonds für eine einmalige Abschlusszahlung an alle auszuschütten und sie zum Verzicht auf weitere Ansprüche zu drängen.

Klagewelle befürchtet

Käme es dazu, würden aber vermutlich viele Pensionäre Klage erheben. Schon als die Verwaltung ab 2018 eine Gebühr von fünf Prozent erhob, waren fünf Ex-Abgeordnete wegen des Abzugs von 200 bis 300 Euro von ihren üppigen Doppelrenten vor den Europäischen Gerichtshof gezogen, wenngleich erfolglos.
Das gleiche Risiko droht jedoch auch bei der anderen Option, welche die Parlamentsführer nun prüfen lassen, wie ein Zeuge der Beratung berichtet. Demnach sollen die Zahlungen reduziert, der Inflationsausgleich gestrichen und das Eintrittsalter erhöht und werden, um den Schaden für den Haushalt zumindest zu verkleinern.

Ob Präsidentin Metsola und ihre Kollegen damit durchkommen, ist jedoch ungewiss. Wegen der Fehler ihrer Vorgänger sind sich nach Aussagen von Insidern nicht mal die Juristen innerhalb der Parlamentsverwaltung über die Rechtslage einig.Die CSU-Abgeordnete Monika Hohlmeier, Vorsitzende im Ausschuss für Haushaltskontrolle, hat darum keine Hoffnung auf eine schnelles Ende der Affäre. „Ich gehe davon aus, dass nur der Europäische Gerichtshof für Klarheit sorgen kann“, erklärt sie. Die Aufräumarbeit bleibt wohl bei den Richtern in Luxemburg hängen.

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