Was nicht exportiert wird, brennt

Alexia Barakou

Von

Attila Kálmán || ""
Attila Kálmán
27. April 2023
Hunderte Statistiken sammeln Daten zu Plastikmüll. Investigate Europe hat sich durch Tabellen gearbeitet und fasst zusammen, wie dramatisch das europäische Plastikproblem wächst.
“Nicht unbedingt ein Monster” sei Plastik, sagt der frühere leitende Mitarbeiter der EU-Kommission, Helmut Mauer. Denn Kunststoff sei halt auch günstig, praktisch und inzwischen einfach auch Teil unseres Alltags. Ein Monster sei aber “die Art und Weise, wie wir kurzlebigen Plastik nutzen”, sagt Maurer. Er sieht darin den “Grund für das schlechte Image und die Umweltverschmutzung”.

Denn die Plastikproduzenten stellen vor allem Plastikverpackungen her (weltweit sind es 44 Prozent, in der EU 40 Prozent). “Die Plastikverschmutzung ist kein Müllproblem. Es ist ein Produktionsproblem. Denn es wird zu viel produziert”, sagt die Koordinatorin der NGO Break Free From Plastic, Delphine Lévi Alvarès. Seit den Fünfzigerjahren wurden weltweit fast zehn Milliarden Tonnen Kunststoff hergestellt – alleine in zwei Drittel davon in den beiden Jahrzehnten nach 2000.

Die OECD prognostiziert, dass die Plastikproduktion auch künftig exponentiell wachsen wird. Das könnte einen hohen Preis für die Umwelt haben. Bis zum Jahr 2050 könnten die Produktion und Entsorgung von Plastik 15 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen ausmachen.

Laut dem Branchenverband Plastics Europe wurden im Jahr 2022 ein Drittel aller Kunststoffe in China produziert. In Europa wurden nur 15 Prozent des Plastiks hergestellt.

Bei der Recyclingquote von zehn Prozent liegt Deutschland über dem Weltdurchschnitt von sechs Prozent.
Zwar wird seit Jahren mehr Plastik recycelt, doch zeitgleich wird noch mehr neuer Kunststoff produziert. Bis 2025 muss der Anteil der stofflichen verwerteten Plastikverpackungen in der EU auf 50 Prozent steigen. Davon sind viele Mitgliedstaaten noch weit entfernt – noch weiter sind sie allerdings davon entfernt, den europäischen Green-Deal-Traum einer Kreislaufwirtschaft zu verwirklichen. “Plastik wird niemals kreislauffähig sein”, sagt der frühere Kommissionsmitarbeiter Helmut Maurer. “Kunststoffe sind petrochemische Produkte, die von Natur aus durch Oxidation leicht abbaubar sind. Wenn man Kunststoffabfälle wieder verwenden will, muss man neue Roh- und Zusatzstoffen hinzufügen, um das Altplast aufzuwerten.”

Das bestätigt auch die Wissenschaftlerin des International Pollutants Elimination Network, Therese Karlsson: “Wir müssen die Menge an Kunststoffen reduzieren, die wir verbrauchen. Es ist nicht möglich, nachhaltig umzugehen mit den Plastikmengen, die wir heute verwenden.” Stattdessen hinterlassen wir einen immer größer werdenden Abfallhaufen. Im Jahr 2004 produzierten die Europäerinnen und Europäer 9,5 Millionen Tonnen Plastikabfälle, im Jahr 2020 waren es bereits 19 Millionen Tonnen.
Durchschnittlich entsorgt jede EU-Bürgerin und jeder EU-Bürger im Jahr 42,6 Kilogramm sortierte Kunststoffabfälle. Am meisten in Belgien und Italien. Doch in dieser Statistik werden nur getrennt gesammelte Kunststoffabfälle berücksichtigt. Belgierinnen und Italiener können sich also zeitglich für ihre Sortierendisziplin loben, während sie nach wie vor sehr viel Plastikmüll hinterlassen.

In Europa wird weit mehr Hausmüll entsorgt als sortiertes Plastik. Im Jahr 2004 waren es noch 180 Millionen Tonnen, Im Jahr 2020 bereits 203 Millionen Tonnen. Doch darin enthalten sind auch Plastikabfälle wie Verpackungen. Untersuchungen einer Verbrennungsanlage in Budapest ergaben, dass Plastik etwa 15 Prozent des gemischten Haushaltsmülls ausmacht, der dort angeliefert wird. Dieser Anteil unterscheidet sich von Land zu Land. Doch sicher ist, dass die Kunststoffe im Haushaltsmüll nicht recycelt werden.

Es überrascht deshalb nicht, dass in Europa bestenfalls 32,5 Prozent des Plastiks tatsächlich recycelt wird. Nichtregierungsorganisationen und Forschungseinrichtungen haben in Berichten und Studien dokumentiert, dass viel Plastik auf Deponien landet oder verbrannt wird, dass eigentlich recycelt werdne soll.

Die Recyclingquoten in der EU für Plastikverpackungsmüll sind zwar etwas höher, liegen aber in den meisten Ländern dennoch weit unter dem EU-Ziel für 2025. Dann sollen 50 Prozent aller Verpackungen recycelt werden. Die in der EU anfallenden Plastikverpackungsabfälle haben zwischen 2012 und 2021 sogar um drei Millionen Tonnen zugenommen.

Da zwischen den Jahren 2010 und 2020 die Plastikverpackungsproduktion pro Europäerin um 20 Kilogramm zunahm, die Menge der recycelten Altverpackungen aber nur um 3,2 Kilogramm, sank die Recyclingquote weiter.

Am Ende des Jahres 2020 hinterließen Menschen in der EU durchschnittlich 35 Kilogramm Plastikverpackungsmüll. Das entspricht etwa 1070 Halbliter-PET-Flaschen.

„Wir müssen die Illusion zerstören, dass diese Dinge recycelt werden können. Wenn man etwas aus Plastik kauft und denkt, dass es nach dem Wegwerfen recycelt wird, ist das ein ganz anderes Gefühl, als zu wissen, dass es auf einer Mülldeponie landet oder verbrannt wird”, sagt die Kampagnendirektorin bei Changing Markets, Nusa Urbancic.

Gehen wir von der optimistischsten Schätzung aus, werden etwa 39 Prozent der entsorgten Plastikverpackungen recycelt. Ebenfalls 39 Prozent werden verbrannt und der Rest landet auf Mülldeponien.
Jedes Jahr fallen in der EU etwa 30 Millionen Tonnen Plastikmüll an, von denen etwa drei Prozent ins Ausland exportiert wurden. In den 2010er Jahren waren es bis zu zehn Prozent des europäischen Plastikmülls, die um die Welt verschifft wurden.
Investigate Europe

Im Jahr 2012 lieferte die EU mehr als 1,5 Millionen Tonnen nach China. Nach dem Inkrafttreten eines Einfuhrverbots im Jahr 2018 ging diese Menge drastisch zurück. Im Jahr 2021 kamen nur 705 Tonnen in chinesischen Häfen an.

Der Plastikmüll wurde seitdem auf neue Routen umgeleitet: Einige südostasiatische Länder versuchen, die von China hinterlassene Lücke zu füllen, und auf die Türkei entfallen inzwischen fast 40 Prozent der EU-Exporte. Aber die Lücke, die das chinesische Verbot hinterlassen hat, bleibt bestehen. Das hat zu unerwünschten Folgen geführt: Seit 2018 ist die Menge der in Europa verbrannten Kunststoffabfälle um 39 Prozent gestiegen.
Gleichzeitig haben die Abfallströme innerhalb der EU zugenommen. Es ist aber unmöglich zu sagen, wie stark genau. Re-exporte werden in den Statistiken nicht getrennt behandelt, das heißt, Abfälle werden so oft in die Statistiken aufgenommen, wie sie re-exportiert werden. Nach Ansicht mehrerer Expertinnen und Experten könnte die Menge an Kunststoffabfällen, die jedes Jahr innerhalb der EU bewegt wird, um 10 bis 20 Prozent niedriger liegen, das heißt zwischen 2 und 2,5 Millionen Tonnen.

Wie die EU-Statistiken über die Ein- und Ausfuhr innerhalb der EU zeigen, fließen die Kunststoffabfälle hauptsächlich in Länder mit großen Häfen: Deutschland, die Niederlande und Belgien. Diese Länder sind auch unter den Exporteuren außerhalb der EU zu finden, so dass man davon ausgehen kann, dass sie nicht (nur) wegen ihrer eigenen Kunststoffabfallausfuhren auf der Liste stehen.

Redaktion: Chris Matthews; Grafiken: Marta Portocarrero; Übersetzung: Leoni Bender
Diese Recherche wurde unterstützt durch das Earth Investigations Program des Journalismfunds

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