12. Dezember 2023

Frankreich und sechs weitere EU-Staaten wollen Überwachung von Journalisten legitimieren

Von

Harald Schumann || ""
Harald Schumann
Pascal Hansens || ""
Pascal Hansens
Alexander Fanta || ""
Alexander Fanta
Ariane Lavrilleux || ""
Ariane Lavrilleux
Das geplante EU-Gesetz zum Schutz der Medienfreiheit droht am Streit über das Verbot der Überwachung von Journalisten zu scheitern. Medienministerin Claudia Roth hat einen Rettungsversuch in letzter Minute gestartet.
Die Regierungen von Frankreich, Finnland, Griechenland, Italien, Malta, Schweden und Zypern drängen bei den Verhandlungen mit dem europäischen Parlament darauf, das geplante EU-Gesetz zum Schutz der Medienfreiheit in Europa an entscheidender Stelle zu schwächen. Interne Dokumente, die den Rechercheteams Investigate Europe, Disclose und Follow the Money vorliegen, zeigen, dass insbesondere diese sieben Regierungen die Überwachung von Journalisten einschließlich des Einsatzes von Spionagesoftware auf deren Telefonen legitimieren wollen, wenn ihre Sicherheitsbehörden dies zum „Schutz der nationale Sicherheit“ für nötig halten.

„Dies ist der schwierigste Teil im Kampf um diesen Gesetzestext“, sagt die EU-Abgeordnete Ramona Strugariu von der liberalen Fraktion (Renew) und Mitberichterstatterin für den „European Media Freedom Act“ (EMFA). Nach fünfzehn Monaten Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten im Rat der EU und im EU-Parlament müssen sich die beiden Institutionen im „Trilog“ (unter Einbeziehung der  EU-Kommission) auf einen gemeinsamen Text einigen. Die entscheidende Sitzung ist für den kommenden Freitag, 15. Dezember, angesetzt. Dann treffen abseits der Kameras zwei grundsätzlich verschiedene Positionen aufeinander.

Dabei geht es um den Schutz von Informanten der Journalisten vor Benachteiligung oder Verfolgung. Dies „ist eine der Grundvoraussetzungen für die Pressefreiheit“, stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte klar. Ohne den Schutz der Quellen „kann die lebenswichtige Rolle der Presse als Wächterin der Öffentlichkeit untergraben werden“.

Darum hat  das EU-Parlament am 3. Oktober mit großer Mehrheit einen Gesetzestext verabschiedet, der im dafür vorgesehenen Artikel 4 der staatlichen Überwachung von Journalisten enge Grenzen setzt. Demnach dürfen sie nur abgehört oder mittels Spionagesoftware ausgeforscht werden, wenn dies

  • in keinem Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit der Journalisten steht;
  • nicht den Zugang zu Quellen von Journalisten betrifft oder offenlegt;
  • im Einzelfall gerechtfertigt ist, um eine schwere Straftat zu verhüten oder zu verfolgen;
  • von einer unabhängigen und unparteiischen Justizbehörde angeordnet wird und
  • einer regelmäßigen Überprüfung durch eine unabhängige Justizbehörde unterliegt.

Zuvor hatte aber der Rat der EU am 21. Juni auf Druck der Regierung Macron und letztlich mit Zustimmung aller Regierungen außer jenen von Ungarn und Polen eine Version des Gesetzes verabschiedet, der dem Artikel zum Verbot der Ausforschung von Journalisten einen höchst umstrittenen Absatz hinzufügt: „Dieser Artikel berührt nicht die Verantwortung der Mitgliedstaaten für den Schutz der nationalen Sicherheit“, soll es dort heißen.

Nach Meinung des Juristen Martin Persson von der schwedischen Regierung, die den Vorsitz bei den Verhandlungen im Rat führte, „fügt diese Formulierung nichts Neues hinzu, sondern verweist nur auf das, was ohnehin nach dem EU-Vertrag gilt“. Das behauptete zunächst auch die deutsche Bundesregierung. Der Zusatzartikel sei nur „eine Klarstellung, die keinerlei neue Eingriffsrechte in journalistische Freiheiten begründen soll“, erklärte Sprecher der zuständigen grünen Kulturministerin Claudia Roth bereits im Juni.
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Renate Schroeder, Direktorin der Europäischen Journalisten-Föderation, hält das für irreführend. „Diese vage Formulierung würde das Risiko einer möglichen Umgehung des beabsichtigten Schutzes der Quellen von Journalisten mit sich bringen“, warnt Schröder. „Und dies in einer Zeit, in der immer mehr Regierungen dazu neigen, Sicherheitserwägungen auf Kosten der Menschenrechte und der Freiheit der Medien auszuweiten.“

Tatsächlich obliegt nach dem geltenden EU-Vertrag die Wahrung der nationalen Sicherheit allein den Nationalstaaten. Aber der Europäische Gerichtshof hat mehrfach geurteilt, dass die Berufung auf dieses Prinzip es nicht rechtfertigt, EU-Gesetze zu brechen. Darum verboten die Richter etwa im Oktober 2020 unter Verweis auf die Richtlinie zum Datenschutz in der elektronischen Kommunikation den französischen Behörden, Internet-Provider zur Speicherung ihrer Kundendaten auf Vorrat zu zwingen. „Die bloße Tatsache, dass eine nationale Maßnahme zum Schutz der nationalen Sicherheit getroffen wurde, kann die Mitgliedstaaten nicht von der erforderlichen Beachtung des Unionsrechts entbinden“, stellten die Richter klar.

Wegen dieser Niederlage, so heißt es in Kreisen der Kommission, wollen die französische Regierung und ihre Mitstreiter aus anderen Ländern, nun mit diesem Zusatzartikel erreichen, dass die nationalen Gerichte mögliche Streitfälle gar nicht erst dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen. So könnten sie allein entscheiden, wann der Schutz der Journalisten vor Ausforschung ihre Verantwortung für die nationale Sicherheit „berührt“ – und darum außer Kraft gesetzt werden darf. Die harte französische Position spiegelt die politischen Kultur des Landes. Unter dem Eindruck der schweren Terroranschläge und der Furcht vor Spionen in Diensten der Regime in Russlands und China haben die Sicherheitsbehörden großen Einfluss und wehren sich gegen jede mögliche Einmischung von außen.

„Predator“ auf den Smartphones

Bliebe es dabei, würde per EU-Gesetz nachträglich legitimiert, wie manche EU-Staaten schon bisher widerrechtlich kritische Journalisten ausgeforscht haben. Dabei hatten sich die Regierungen in Griechenland, Spanien, Bulgarien, Polen und Ungarn auch auf die ‚nationale Sicherheit berufen‘, um den Einsatz der Spähprogramme „Pegasus“ und „Predator“ gegen regierungskritische Journalisten zu rechtfertigen. Das EU-Parlament hatte daher eigens einen Untersuchungsausschuss zum Thema eingesetzt und gefordert den Verkauf von Spähsoftware solange zu verbieten, bis rechtlich klar definiert ist, in welchen Ausnahmefällen der Staat sie einsetzen darf.

Entsprechend scharf protestieren darum auch Journalisten und Verleger gegen den fragwürdigen Paragraphen in dem Gesetz, das doch eigentlich die Medienfreiheit schützen soll. „Wir sind zutiefst besorgt über die abschreckende Wirkung, die sich ergeben könnte, wenn im endgültigen Text Bedingungen für die Offenlegung von Quellen festgelegt werden, die nicht den internationalen Menschenrechtsstandards entsprechen“, heißt es in einem offenen Brief, den 17 europäische Medien- und Journalistenverbände und Institute vergangene Woche an Rat und Parlament richteten.

So klingt das auch bei dem Grünen Europaabgeordnete Daniel Freund, der dem für diesen Artikel zuständigen Rechtsausschuss (LIBE) angehört."Regierungen haben auf den Telefonen von Journalist:innen nichts zu suchen. Dafür haben wir im Europäisches Parlament vorgesorgt. Es kann nicht sein, dass die Mitgliedstaaten jetzt versuchen, diesen Schnüffelparagraphen durch die Hintertür wieder einzuführen", mahnt er. Genauso sieht das auch der rechtskonservative französische Abgeordnete Geoffroy Didier, der für den Binnenmarktausschuss die Verhandlung zum EMFA führte. Er fordert die Regierung Macron ausdrücklich auf, „ihren Plan aufzugeben, Journalisten legal zu abzuhören. Diese europäische Verordnung muss den Pluralismus schützen und darf keine Bespitzelung zulassen!“, fordert er.
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Claudia Roth startet einen Rettungsversuch in letzter Minute
 
Bisher ist offen, ob am Ende tatsächlich eine qualifizierte Mehrheit der EU-Regierungen auf dem Sonderrecht für ihre Sicherheitsbehörden bestehen wird oder doch einem Kompromiss zustimmt, der die Grundrechte wahrt. Aus dem Protokoll der jüngsten Sitzung des EU-Rates der ständigen Vertreter zum Thema vom 22. November geht hervor, dass nur eine Minderheit auf dem umstrittenen Zusatzparagraphen bestehen. Demnach hat die italienische Regierung die Beibehaltung des Absatzes über die nationale Sicherheit (in Artikel 4) sogar als "rote Linie" definiert, sie also einer Streichung nicht zustimmen wird. Auch die Vertreter von Frankreich, Finnland und Zypern erklärten , sie seien in dieser Frage "nicht sehr flexibel". Schweden, Malta und Griechenland seien auf der gleichen Linie "mit einigen Nuancen", heißt es in dem Dokument, das von einem hochrangigen deutschen Beamten verfasst wurde, der an dem Treffen teilnahm.
 
Obwohl diese sieben Staaten nur 34% der europäischen Bevölkerung repräsentieren, könnten sie mit einer sogenannten Sperrminorität im Rat jeden Kompromiss blockieren, weil die Regierung Ungarns für weitere rund 2% der EU-Bürger das Gesetz ohnehin ablehnt und für eine Zustimmung die Befürworter mindestens 65 % der EU-Bevölkerung vertreten müssen. Auch um eine solche Kampfabstimmung zu vermeiden, folgten bisher die meisten anderen Regierungen der französisch-italienischen Linie. Nur der Vertreter Portugals kritisiert offen die Ausnahme im Namen der nationalen Sicherheit. Auf Anfrage erklärte die portugiesischen Vertretung in Brüssel, man sei „besorgt über die künftigen Auswirkungen, die diese Bestimmung nicht nur auf die Freiheit der Berufsausübung von Journalisten, sondern auch auf die europäische Zivilgesellschaft haben könnte“.
 
Immerhin sind die sieben Hardliner im Rat zu kleineren Zugeständnissen bereit. Zusammen mit der Mehrheit sind sie bereit, die vom EU-Parlament geforderte „Zustimmung einer unabhängigen Justizbehörde“ vor dem Bruch des Quellenschutzes hinzuzufügen. Auch der „regelmäßigen Überprüfung des Einsatzes von Überwachungstechnologien“ könnten sie zustimmen, signalisierten sie.
 
Christophe Bigot, Anwalt und Experte für Presserecht, hält das allerdings zumindest im Fall Frankreich für ein Ablenkungsmanöver. „Jeder Verweis auf die nationale Sicherheit könnte ausreichen, um einen Journalisten zu verfolgen oder zu überwachen", warnt Bigot. Die vorherige Zustimmung eines Richters wäre nur eine „Änderung auf dem Papier, da auch Durchsuchungen bei Journalisten oder Redaktionen schon jetzt von einem Ermittlungsrichter fast immer genehmigt werden“.
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Das belegen nicht zuletzt die jüngsten Ermittlungen gegen die Journalisten von Disclose. Die bloße Tatsache, dass sie aus geheimen Dokumenten über die Verstrickung französischer Geheimagenten in die Ermordung von Zivilisten durch Sicherheitsbehörden in Ägypten zitierten, reichte dem Richter aus, um ihre Wohnungen durchsuchen und ihre Computer und Telefone beschlagnahmen zu lassen.
 
Ob Frankreich sich am Ende durchsetzt, hängt nun davon ab, wie die Vertreter des EU-Parlaments verhandeln werden. Wenn sie hart bleiben, laufen sie Gefahr, dass das Gesetz vorerst scheitert und dann die Totengräber der Medienfreiheit weiterhin europaweit freie Bahn haben. Mit der Verordnung würden schließlich wichtige Mindeststandards wie die Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Fernsehens oder der Schutz der Redaktionen vor staatlichen Eingriffen EU-weit verpflichtend.  Geben sie aber zu früh nach, könnte das Gesetz mit einer für Journalisten in vielen EU-Staaten gefährlichen Lücke in Kraft gesetzt werden.
 
Das Parlament könne akzeptieren,  dass mit dem Rat eine präzisere Liste von Straftaten erstellt werde, für die eine Überwachung von Journalisten erlaubt werden könnte, sagt ein Mitarbeiter des Parlaments, der mit den Verhandlungen vertraut ist. Aber die Rücknahme der generellen Ausnahmeregelung für die nationalen Sicherheit sei die „rote Linie“ für das Parlament.
 
Um die Blockade zwischen den beiden Seiten zu überwinden, unternahm die Bundesregierung nun in letzter Minute einen Versuch, das Gesetz zu retten. „Medien-Staatsministerin Claudia Roth hat erreicht, dass Bund und Länder auf die ausdrückliche Erwähnung der ‚nationalen Sicherheit‘ im EMFA verzichten“, sagte ihr Sprecher. Die offizielle deutsche Position schlägt nun folgende Formulierung für den entsprechenden Absatz vor: "Dieser Artikel berührt nicht die Verantwortung der Mitgliedstaaten für den Schutz der Bereiche, für die sie allein zuständig sind".

Ob diese Formulierung das Problem tatsächlich lösen wird, selbst wenn Parlament und Rat sie billigen, ist jedoch keineswegs sicher.  Am Ende werden wohl doch die EU-Richter in Luxemburg entscheiden.
 Alexander Fanta ist Reporter bei der niederländischen Plattform für unabhängigen Journalismus Follow the Money. Ariane Lavrilleux arbeitet mit der französischen Initiative für Recherchejournalismus Disclose. Jüngst durchsuchte die französische Polizei ihre Wohnung, um die Quellen für einen Enthüllungsbericht über den französischen Geheimdienst zu finden.

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