27. Oktober 2023

Rohstoffknappheit drängt Europas Autokonzerne ins Bergbaugeschäft

Von

Lorenzo Buzzoni
Lorenzo Buzzoni
Nico Schmidt
Nico Schmidt
Bei kritischen Rohstoffen wie Graphit oder Lithium sind europäische Autokonzerne abhängig von China. Das wollen sie ändern und investieren nun massiv in Minen, Aufbereitungsanlagen und Batteriefabriken.
Sechs Kilometer entfernt von der chilenischen Grenze, im argentinischen San Juan, schüttelt der Bohrer die Erde und wirbelt eine Staubwolke auf. Ein hämmerndes Geräusch breitet sich über die Gipfel der Anden aus. Hier, auf 3.500 Metern Höhe wurden bereits mehr als hundert Löcher gebohrt, um nach Kupfer zu suchen.

Los Azules ist eines von acht großen Kupferprojekten, die kürzlich in Argentinien gestartet wurden. Denn die Nachfrage nach dem roten Metall boomt weltweit, das für Elektroautos unverzichtbar ist. Dabei wurde in Argentinien erst vor wenigen Jahren die damals letzte Kupfermine geschlossen. Doch nun sind die Bohrer zurück. Aus der Stille der Berge brechen sie hunderttausende Tonnen Kupfer. Auch weil Autohersteller wie Stellantis sich das Rohmaterial vertraglich gesichert habe. Für 155 Millionen Dollar kauft der multinationale Konzern 100.000 Tonnen Kupfer pro Jahr.
Stellantis will in seine Autos künftig auch Kupfer verbauen aus dem argentinischen Bergwerk Los Azules.Stellantis

So geht es an momentan an vielen Orten. Mit Schutzhelmen und Stahlkappenstiefeln erkunden Automobilmanager Minen in Ländern wie Kanada, Brasilien, Chile oder eben Argentinien, um sich jene kritischen Rohstoffe zu sichern, die ihre Unternehmen auf dem Weg von Benzin zu Batteriestrom unterstützen sollen.

Der Einsatz ist hoch: Ohne eine sichere Versorgung mit kritischen Rohstoffen droht der Umbau hin zu einer nachhaltigen Automobilwirtschaft zu scheitern. Ohne Kupfer oder Lithium können Konzerne wie Stellantis oder Volkswagen keine Batterien produzieren für ihre Elektro-SUVs. Die Bänder in Turin und Wolfsburg würden abrupt zum Still stand kommen.

Dabei hatte sich die Automobilindustrie lange darauf verlassen, dass die benötigten Materialien stetig aus China nach Europa geschifft werden. Doch wie sicher diese Rohstoffströme langfristig sind, kümmerte die Autokonzerne nur wenig. Sie sorgten sich eher um die Preise ihrer fertigen Produkte. Noch im Jahr 2016 sagte der damalige Volkswagen-Chef, Matthias Müller, es sei "Blödsinn" eine eigene Batteriefabrik in Europa zu betreiben, auch weil diese "schweineteuer" sei.

Im vergangenen Sommer verkündete Volkswagen nun, sechs Batteriefabriken bauen zu wollen vom spanischen Valencia bis ins norddeutsche Wolfsburg.

Spät wachen die Manager der Autokonzerne nun auf. Denn hinter vorgehaltener Hand sagen Branchenkenner schon lange, dass die europäische Autoindustrie ohne Chinas Wohlwollen längst verloren wäre.

Neben Kupfer und Lithium benötigen Elektroautos noch andere wichtige Rohstoffe. Die Hersteller verwenden inzwischen auch Graphit, Aluminium, Nickel und Kobalt in ihren Fahrzeugen. Forscherinnen der KU Leuven gehen davon aus, dass die Elektrifizierung der Automobilindustrie mehr als die Hälfte des weltweiten Bedarfs an kritischen Rohstoffen ausmachen wird. An den meisten dieser Lieferketten ist China stark beteiligt.
Investigate Europe

Neben Kupfer und Lithium benötigen Elektroautos noch andere wichtige Rohstoffe. Die Hersteller verwenden inzwischen auch Graphit, Aluminium, Nickel und Kobalt in ihren Fahrzeugen. Forscher der KU Leuven gehen davon aus, dass die Elektrifizierung der Automobilindustrie mehr als die Hälfte des weltweiten Bedarfs an kritischen Rohstoffen ausmachen wird. An den meisten dieser Lieferketten ist China stark beteiligt.

Die Zeit drängt. Vergangene Woche kündigte die chinesische Regierung an, dass lokale Graphitexporteure eine Genehmigung benötigen, bevor sie den Rohstoff außer Landes bringen dürfen. Die Regelung soll Anfang Dezember in Kraft treten und könnte ein erster Schritt zur Begrenzung der Exporte sein. Die europäischen Autohersteller versuchen, sich aus der Abhängigkeit von China zu befreien. Sie investieren in Minen, um sich den Zugang zu wichtigen Rohstoffen zu sichern, und kaufen Verarbeitungs- und Recyclingkapazitäten. Doch kann das gelingen?

In den vergangenen Monaten unterzeichneten die Vorstände der großen Autokonzerne eine Vereinbarung nach der nächsten. Mitte März dieses Jahres kündigte Volkswagen-Technikvorstand Thomas Schmall an, sein Unternehmen werde künftig auch Bergbau finanzieren. "Der Engpass bei den Rohstoffen sind die Förderkapazitäten. Deshalb müssen wir direkt in Minen investieren", sagte Schmall in einem Interview.

Wenige Monate später wurde bekannt, dass VW gemeinsam mit Stellantis den Kauf von zwei brasilianischen Nickel- und Kupferminen unterstützen wollte. Am Ende scheiterte das Geschäft an den zu hohen Kosten. Aber das Signal war klar.
Volkswagen will Autos künftig aus eigenen Rohstoffen fertigen

VW-Bergwerke sollen dann Kupfer und Lithium für E-Autos liefern

Noch ist unklar, wo VW die kritischen Rohstoffe abbauen will. Eine Anfrage für ein Interview lehnte das Unternehmen ab. Ein Angebot, sich an einem Lithiumabbauprojekt von Vulcan Energy im Rheintal zu beteiligen, habe das Unternehmen bisher abgelehnt, so eine an den Gesprächen beteiligte Person.

Weniger zurückhaltend ist der multinationale Stellantis-Konzern, zu dem auch die Marken Peugeot und Fiat gehören. Der investierte letztes Jahr 50 Millionen Euro in Vulcan Energy. Und das ist nur ein Schritt in der Offensive des Konzerns, sich den Zugang zu Rohstoffen zu sichern. In diesem Jahr hat Stellantis bereits neun Verträge unterzeichnet, um seine Lieferketten vom Abbau bis zur Verarbeitung zu sichern. In Australien sicherte sich das Unternehmen kürzlich 45 Kilotonnen hochreines Mangan für die Batterieproduktion. Auch BMW sicherte sich kürzlich Lithium von der US-Firma Livent für 335 Millionen Dollar.

Weiter unten in der Lieferkette investieren die Automobilhersteller ebenfalls stark in die Batterieproduktion.

Gemeinsam mit Mercedes-Benz und TotalEnergies hat Stellantis im Mai mit dem Bau seiner ersten europäischen Gigafactory in Frankreich begonnen. Weitere sollen folgen. Kürzlich kündigte das Unternehmen eine globale Beschaffungsstrategie" an. Bis 2030 sollen bis zu fünf Batteriefabriken in Europa und Nordamerika entstehen. Auch der deutsche Volkswagen-Konzern investiert massiv in eigene Batteriefabriken: Allein in Europa sollen bis 2030 sechs Gigafactories entstehen.
In Europa planen die Automobilhersteller und ihre Zulieferer den Bau von mindestens 46 Batteriezellfabriken mit einer Kapazität von mehr als 1.400 Gigawattstunden. Momentan gibt es in Europa nur wenige Gigafactories mit einer Kapazität von rund 75 GWh. Wie unabhängig die Autohersteller nach dem Bau neuer Fabrik tatsächlich sind von externen Akteuren, ist jedoch fraglich.

Eine Analyse von Investigate Europe zeigt, dass mehr als ein Drittel der 46 geplanten Fabriken von nicht-europäischen Unternehmen gebaut und betrieben werden sollen. Darunter sind auch chinesische Konzerne wie CATL. Der weltweit größte Hersteller von Lithium-Ionen-Batterien will in Erfurt (Deutschland) und Debrecen (Ungarn) Zellen produzieren, die dann auch in Mercedes-Sportwagen verbaut werden sollen.

Die europäischen Pläne werden jedoch von der Dominanz des Weltmarktführers China in den Schatten gestellt. Bis 2021 werden chinesische Fabriken Batterien mit einer Kapazität von 655 GWh produzieren. Das sind drei Viertel der Weltproduktion.

Und wie viele der großen Ankündigungen am Ende tatsächlich umgesetzt werden, ist ungewiss. "Die Produktionskapazitäten in der EU beruhen auf Ankündigungen der Hersteller, die häufig zurückgezogen werden und nicht unabhängig verifiziert sind", warnte kürzlich der Europäische Rechnungshof.

Zumal das massive US-Subventionsprogramm, der Inflation Reduction Act, droht, mehrere Batteriefabrik-Projekte aus Europa abzuwerben. In den ersten neun Monaten nach Inkrafttreten des US-Konjunkturpakets haben Auto- und Batteriehersteller Investitionen von fast 50 Milliarden Euro in den USA angekündigt.

"Mit China zu konkurrieren ist wie ein Formel-1-Rennen mit einem Fiat 500 zu fahren."

Julia Poliscanova


Ob die EU dagegen etwas tun könne, sei fraglich sagt die Senior Direktorin der NGO Transport & Environment, Julia Poliscanova. "Der Versuch, mit den USA oder China zu konkurrieren, ist wie der Versuch, mit einem Fiat 500 an einem Formel-1-Rennen teilzunehmen. Auch der Europäische Rechnungshof kommt in einem Bericht vom Juni zu einem ernüchternden Ergebnis: "Die Wertschöpfungskette für Batterien in der EU ist nach wie vor stark von Lieferungen von außerhalb der EU abhängig. Ab 2030 könnten den EU-Herstellern die Batterierohstoffe ausgehen".

Bei ihrem Versuch, die chinesische Dominanz zu brechen, könnten die europäischen Autohersteller jedoch Hilfe von unerwarteter Seite erhalten: China.

Im März dieses Jahres stellte der chinesische Batteriehersteller Hina das erste Auto mit Natrium-Ionen-Batterien vor. Diese Batterien verwenden Natriumionen anstelle von Lithium, um von der Kathode zur Anode zu gelangen. Das Auto von Hina hat eine Reichweite von 250 Kilometern - genug für den Stadtverkehr.

"Das haben in Deutschland nur wenige kommen sehen", sagt Maximilian Fichtner, Batterieexperte an der Universität Ulm. "Einigen Akteuren hat einfach die Weitsicht gefehlt."

So sind es nun chinesische Unternehmen, die die nächste Batteriegeneration vorantreiben. Ende des Jahres will der Batterieriese CATL Natrium-Ionen-Batterien ausliefern, die eines Tages europäische Autos antreiben könnten.

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