Wie EU-Waffen den Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei anheizen

Ende Januar dieses Jahres feierten Griechenlands höchste Militärs. Denn Frankreich hatte den Griechen die ersten sechs von insgesamt 24 Kampfjets des Typs Rafale geliefert. Die wurden nun, eine Stunde außerhalb Athens, auf dem Luftstützpunkt Tanagra begutachtet.  Zu diesem Anlass kam sogar der Chefs des französischen Jetherstellers, Éric Trappier. Der sagte: „Das Können, mit dem die griechischen Luftstreitkräfte diesen ersten Überführungsflug durchgeführt haben, steht beispielhaft für unsere exzellente Zusammenarbeit und die historisch gewachsene Beziehung mit Griechenland seit mehr als 45 Jahren.“ Der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis fügte hinzu: „Die neuen Rafales sind bereit zum Abflug in eine bessere, friedlichere Zukunft.“

Militäreinheit bei der Begrüßungszeremonie für die Rafale-Kampfjets | Foto: Thodoris Chondrogiannos

“Die Bestie zähmen”

In seiner Ansprache erwähnte Mitsotakis die Türkei nicht. Das war auch nicht nötig. Denn allen Anwesenden muss ohnehin klar gewesen sein, dass es dieser Nachbarstaat war, der für den neuerlichen Waffenkaufrausch gesorgt hatte. Und das nicht einmal zehn Jahre seitdem Griechenland knapp einer Staatspleite entkam.

Zwischen den Waffenkäufen und dem Bankrott sehen Politiker und Experten einen direkten Zusammenhand.

„Wir sind kein großes Land“, sagte im Januar der griechische Außenminister Nikos Dendias. „Trotzdem haben wir mehr Panzer als Deutschland und Frankreich zusammen. Wir haben eine der größten, wenn nicht sogar die größte Luftwaffe in Europa. Wir haben mehr als 250 Kampfflugzeuge. Wir sind aber nicht die größte Wirtschaftsmacht Europas.”

Warum gibt ein Land, das nur 0,25 Prozent zum weltweiten Bruttoinlandsprodukt beiträgt, mehr aus für Verteidigung als militärische Supermächte?

„Warum brauchen wir das?“, fragte auch Dendias. „Weil wir bedroht werden.“

Durch den russischen Einmarsch in die Ukraine fühlten sich viele Griechen in ihren Ängsten bestärkt. Denn sie fürchten schon lange, dass ein stärkerer Nachbarstaat sie potentiell angreifen könnte. Zwar sind Griechenland und die Türkei Mitglieder der Nato, dennoch wäre es in den vergangenen Jahren mehrfach beinahe zu einem bewaffneten Konflikt gekommen.

„Seit die Türkei 1974 in Zypern einmarschierte, gab es immer wieder heftige Krisen zwischen Athen und Ankara, wegen Streitigkeiten über die Ägäis und das östliche Mittelmeer“, sagt der Professor für internationale Studien an der Athener Wirtschaftsuniversität, Spyros Blavoukos. „Griechenlands EU-Beitritt, seine Nato-Mitgliedschaft, seine Verteidigungsausgaben, seine Unterstützung der Aufnahme der Türkei in die EU, all das ist Teil einer Strategie, um einem aggressiven Verhalten der Türkei vorzubeugen, um die Bestie zu zähmen.“

Seit 1995 vertritt die Türkei offiziell die Position, dass eine Erweiterung der Hoheitsgewässer Griechenlands in der Ägäis auf zwölf Seemeilen einer Kriegserklärung im Sinne des UN-Seerechtsübereinkommens gleichkommen würde.

Erst im Februar, kurz vor der Invasion der Ukraine, drohte der türkische Außenminister damit, die Souveränität der Inseln im Osten der Ägäis in Frage zu stellen, wenn Griechenland den Forderungen der Türkei nach einer Entmilitarisierung der Inseln nicht Folge leistet.

Für Griechenland klingen solche Aussagen bedrohlich – erst recht, wenn sie von einem Land kommen, das nicht als konfliktscheu bekannt ist. Im vergangenen Jahrzehnt hat die Türkei sich aktiv an militärischen Konflikten in Libyen, Syrien und dem Irak beteiligt. Sie soll außerdem Aserbaidschans Annexion von Gebieten in Nagorno-Karabakh unterstützt haben mit syrischer Söldner und türkischen Drohnen des Typs Bayraktar TB2.

“Zu wenig Europa”?

“Ich kann mir keinen militärischen Konflikt zwischen der Türkei und Griechenland vorstellen“, sagt der frühere Nato-Generalsekretär Javier Solana zu Investigate Europe. „Griechenland ist EU-Mitglied und die Türkei ist in der Nato und arbeitet eng mit der EU zusammen. Wenn wir die Türkei als Sicherheitsakteur bräuchten, könnten wir sie darum bitten, weil sie Nato-Mitglied ist.“

Ungeachtet dessen, standen Griechenland und die Türkei in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach kurz vor einem militärischen Konflikt. Zuletzt, im Jahr 2020, stießen ein griechisches und türkisches Kriegsschiff zusammen während einer Konfrontation im östlichen Mittelmeer. Deutschland vermittelte damals.

Mitte der Neunzigerjahre standen sich griechische und türkische Soldaten auf zwei kleinen Inseln in der östlichen Ägäis gegenüber. Die Waffen, die sie aufeinander richteten, kamen aus den USA und der EU. Im letzten Moment schritten die USA ein, um einen Krieg zu verhindern.

Allerdings konnten weder die Nato noch die EU langfristig eine ernsthafte Annäherung der beiden Länder erwirken. Die nächste Krise ist also nur eine Frage der Zeit.

Griechenland ist auch deswegen in einem Teufelskreis der Aufrüstung gefangen, weil jeder EU-Mitgliedsstaat seine eigene Außenpolitik betreibt. Ihre jeweiligen Interessen im Umgang mit Drittstaaten wie der Türkei können dabei konkurrieren. „Es ist utopisch, von einer Verteidigungszusammenarbeit in der EU zu sprechen, erst recht von einer militärischen Einheit, solange es keine politische Einheit gibt“, sagt der Athener Wirtschaftsprofessor Spyros Blavoukos.

Für Athen ist die Uneinigkeit der EU eine Herausforderung. EU-Mitgliedsstaaten verhalten sich der Türkei gegenüber wohlwollend und verkaufen ihr Waffen, obwohl sie Zypern besetzt. Griechenland kauft Waffen von den gleichen Staaten, in dem verzweifelten Versuch, ein Kräftegleichgewicht zu erhalten.

Dieser Widerspruch spiegelt sich in den Aussagen von Politikern wider, die direkt an der Verwaltung der Bündnisse beteiligt sind.

Ein Rafale-Kampfjet nach der Ankunft in Griechenland | Foto: Thodoris Chondrogiannos

Das doppelte Spiel der Bündnispartner

Kein Land hat in den vergangenen Jahren so viele Waffen an Griechenland und die Türkei verkauft wie die USA, Deutschland und Frankreich. Doch auch Länder wie Italien, die Niederlande und das Vereinigte Königreich spielen dieses doppelte Spiel. Andere Staaten, wie Spanien, statten nur die Türkei mit Waffen aus.

“Die NATO-Bündnispartner wissen, dass diese beiden Länder keine freundschaftlichen Beziehungen pflegen. Sie verkaufen ihnen trotzdem Waffen, weil sie sie im Nahen Osten und für NATO-Einsätze in der Region benötigen“, sagt Siemon Wezeman, Mitarbeiter des Friedensforschungsinstituts Sipri. „Wenn zwischen den beiden eine Krise ausbricht, rufen die politischen Führungskräfte bei ihnen an und bitten sie um Entspannung. Doch die Waffen werden weiterhin geliefert: die Feindschaft wird weiter genährt.“

Deutschland mit der Türkei, Frankreich mit Griechenland

Die Konkurrenz zwischen europäischen Waffenherstellern heizt Konflikte auf dem Kontinent an. Das zeigt beispielhaft der Deutschlands und Frankreichs Umgang mit den griechisch-türkischen Konflikt.

Im Juli 2021 lieferte Deutschland der Türkei das erste von sechs U-Booten. In einer Analyse des Economist hieß es damals, die U-Bootlieferung „könnte das Mittelmeer destabilisieren“.

Im November desselben Jahres musste der Rüstungshersteller Hensoldt, der zu einem Viertel dem deutschen Staat gehört, zugeben, dass mittels einer südafrikanischen Tochterunternehmer Zielsysteme an den türkischen Drohnenhersteller Baykar geliefert worden waren. Wenige Monate zuvor hatte Deutschland Griechenlands Forderung nach einem Waffenembargo gegen die Türkei noch „strategisch inkorrekt“ genannt.

“Deutschlands Unterstützung für das Kampfdrohnenprogramm der Türkei ist beispielhaft dafür, wie EU-Staaten Griechenland zur Aufrüstung zwingen, indem sie Waffen an die Türkei verkaufen“, teilte ein Mitarbeiter der griechischen Rüstungsindustrie Investigate Europe mit. „Mit deutscher Unterstützung hat die Türkei Kampfdrohnen entwickelt, die bereits in der Ukraine und in Nagorno-Karabakh eingesetzt worden sind“, fügte er hinzu. Griechenland habe längst den Anschluss verloren bei der Entwicklung von Kampfdrohnen. „Jetzt baut die griechische Verteidigungsindustrie vier Drohnen, für die der Staat Hunderte Millionen Euro zahlen wird – nur um den Vorteil seines Nachbarn aufzuholen.“

Im September 2021 sicherte Frankreich Griechenland seine Unterstützung zu. Die beiden Staaten unterzeichneten eine Erklärung zur gegenseitigen Verteidigungshilfe. Um dieses Abkommen hatten griechische Diplomaten jahrelang gekämpft. Es legt fest, dass Frankreich Griechenland bei einem Angriff – auch durch die Türkei – unterstützen wird. Der Schutz durch Frankreich war teuer. Er kam in einem Paket mit 24 Rafale-Kampfjets und mindestens drei Belharra-Fregatten. Doch das könnte noch nicht alles sein. Der griechische Verteidigungsminister deutete zuletzt an, dass sein Land bis zu 40 Kampfjets kaufen würde.

Es sieht ganz so aus, als würde Griechenland bilaterale Verteidigungsabkommen abschließen, weil der EU ein Mechanismus für Verteidigungshilfe zwischen Mitgliedsstaaten fehlt. Artikel 42 des EU-Vertrags legt fest, dass im Falle eines bewaffneten Angriffs auf einen Mitgliedsstaat die anderen Staaten diesen mit allen Mitteln unterstützen müssen.

Doch diese Regelung reiche nicht aus, glaubt Katarina Engberg, Beraterin am Schwedischen Institut für Europäische Politikstudien (SIEPS). „Der Nachteil an der EU-Bestimmung ist, dass sie nicht so gut für bestimmte Szenarios plant“, sagt Engberg, „anders als die Nato, die konkreten Pläne und natürlich Ressourcen zum Schutz territorialer Integrität vorsieht. Das liegt daran, dass die Amerikaner in der Nato sind.“

Um die Probleme des Wettbewerbs zwischen deutschen U-Booten und französischen Fregatten zu lösen, plädert die deutsche Grünenabgeordnete im Europäischen Parlament, Hannah Neumann, für die Schaffung “gemeinsamer Regeln, damit die Exportpolitik eines Mitgliedsstaates nicht direkt der eines anderen entgegenläuft. Wenn wir über eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik nachdenken, muss das die Grundlage sein.“

Ein Teufelskreis aus Waffenkäufen, Pleite und Korruption

Mitten in einer pandemiebedingten Wirtschaftskrise gab Griechenland 2021 3,8 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung aus. Kein anderes Nato-Mitglied gab so viel für Rüstung aus. Selbst die USA investierten nur 3,5 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts.

Das vergangene Jahr war jedoch keine Ausnahme. Wegen ihres Rüstungswettlaufs haben Griechenland und die Türkei regelmäßig die höchsten Verteidigungsausgaben. Ihre Budgets sind teilweise doppelt so hoch wie die der G-7-Staaten.

Zwischen 2004 und 2008 war Griechenland einer der fünf größten Waffenimporteure der Welt. Zu den Top-Käufern gehörten außerdem China, Indien, die VAE und Nordkorea. Mit seiner winzigen Wirtschaftsstärke leistete sich Griechenland 4 Prozent der weltweiten Waffenimporte: Kampfjets aus den USA und Frankreich, U-Boote und Panzer vom Typ Leopard aus Deutschland (das diese gleichzeitig an die Türkei verkaufte). Insgesamt kamen 31% der Lieferungen aus Deutschland, 24% aus Frankreich und 24% aus den USA. Griechenlands übermäßige Militärausgaben führten zu massiven Defiziten und 2012 schließlich zu seiner beinahen Pleite.

Das Land stand wegen seiner Militärausgaben schon mehrmals am Rande des Bankrotts. „Ein Teufelskreis zieht sich durch alle Kriege und alle Pleiten in Griechenlands moderner Staatsgeschichte“, schreibt Giorgos Dertilis, Professor für jüngere griechische Geschichte in seinem Buch „Sieben Kriege, vier Bürgerkriege, sieben Pleiten (1821-2016)“. „Wenn die Wirtschaft sich nur schwer erholt, folgen früher oder später Aufrüstung und Verschuldung, was wiederum zum nächsten Bankrott, zum nächsten Krieg oder zu beidem führt“, fügt er hinzu.

Auch Verteidigungsausgaben und Korruption sind eng miteinander verbunden. So wurde der ehemalige griechische Verteidigungsminister Akis Tsochatzopoulos (1996-2001) zu einer langen Haftstrafe verurteilt, weil er sich beim Kauf von russischen und deutschen Waffen bestechen hatte lassen.

„Ich habe mir nicht jedes einzelne Waffengeschäft Griechenlands angesehen, aber ziemlich viele. Und ich habe noch keines gefunden, das nicht korrupt ablief“, sagt der Experte für Waffenhandel Andrew Feinstein. „Wenn man sich ansieht, was Griechenland vor allem an Deutschland für seine Ware bezahlt, sind da mehrere Ebenen von Bonuszahlungen eingebaut. Griechische Waffendeals tragen zum Tod des politischen Systems bei.”

Zur jüngsten Abmachung zwischen Griechenland und Frankreich sagt Feinstein: „Das eindeutigste Warnsignal ist die Tatsache, dass Griechenland die Rafale-Jets kauft. Das sind keine hochklassigen Jets. Sie werden sonst nur von Indien oder Ägypten gekauft. Da fragt man sich doch, warum sie sich keine technisch hochwertigeren Jets aussuchen.“

Annäherungsversuche im Schatten der Ukraine-Krise

Nachdem Moskau die Ukraine angriff, schickte Griechenland militärische Ausrüstung an Kiew, darunter Munition und Kalaschnikows.

„Mit was für einer moralischen Haltung würden wir sonst um Hilfe bitten, wenn wir in einer ähnlichen Situation wären?“, fragte der griechische Premierminister, um seine Entscheidung zu rechtfertigen. Damit deutete er an, dass Athen sich in der Zukunft in einer ähnlichen Situation wie die Ukraine wiederfinden könnte.

Wenige Tage später, am 13. März, trafen sich der griechische Premierminister und der türkische Präsident in Istanbul. Nach monatelangem frostigem Klima versuchten die beiden NATO-Staaten ihr Verhältnis zu entspannen.

Einige Tage später genehmigte die US-Regierung einen „möglichen Waffenverkauf an die griechische Regierung“, darunter Kriegsschiffe im Wert von mehreren Milliarden Dollar; parallel dazu verhandelt die US-Regierung mit der Türkei über die Lieferung von Kampfjets nach Ankara.


Dieser Artikel ist eine Zusammenarbeit zwischen Investigate Europe und seinem griechischen Partner Reporters United.