Die EU will den Pestizideinsatz reduzieren – doch an einem Messinstrument mangelt es

Credit: Alexia Barakou

Zwei Jahre verhandelten Vertreter der Europäischen Kommission, des Parlaments und der EU-Regierungen, bis sie Anfang Juni dieses Jahres ihre Einigung präsentierten für ein Gesetz mit einem sperrigen Namen, die Verordnung über landwirtschaftliche Inputs und Outputs (SAIO). Die soll grundlegend ändern, wie Bäuerinnen und Bauern in der EU wirtschaften. Denn obwohl diese einen beachtlichen Teil der europäischen Unterstützungshilfen erhalten, fehlen viele Daten zu ihrer Arbeit.

Diese Lücke soll die neue EU-Rechtsvorschrift schließen. Dazu gehören auch Daten darüber, in welchem EU-Staat Landwirte wie viele Pestizide auf ihren Äckern versprühen. Denn dazu fehlt es bislang an verlässlichen europaweiten Zahlen. Die europäische Statistikagentur Eurostat veröffentlicht lediglich Zahlen dazu, wie viele Pestizide die Mitgliedsstaaten verkaufen. Doch die Übermittlung der Daten ist freiwillig und die vorliegen Zahlen daher mangelhaft. Lediglich 16 EU-Staaten schickten vollständige Datensätze nach Brüssel, andere reichten lückenhafte Unterlagen ein. So fehlen Daten unter anderem aus Spanien, Griechenland, Polen und Estland.

Dabei benötigt die EU dringend verlässliche Zahlen zum Pestizideinsatz. Schließlich legte die Kommission Mitte Juni einen Vorschlag für einen bindenden Gesetzestext vor, mit dem bis 2030 der Einsatz von Ackergiften halbiert werden soll. Die Verordnung über die nachhaltige Verwendung von Pestiziden (SUR) könnte die Landwirtschaft in Europa grundlegend ändern, den Einsatz gefährlicher Giftstoffe reduzieren und so auch das Artensterben bremsen. Doch wie kann das gelingen, wenn es gar keine Daten gibt?

Die Pestizidverkaufszahlen reichen nicht aus, um zu messen und zu überwachen, ob die Mitgliedsstaaten ihrer Verpflichtung nachkommen. „Wir können viel über die Verringerung des Einsatzes von Pestiziden und Düngemitteln reden, aber so lange es keine Daten gibt, wird sich nichts ändern“, sagt der griechische Linken-Abgeordnete im Europaparlament, Petros Kokkalis. Er hat das neue Statistikgesetz im Parlament mit auf den Weg gebracht. Für den Erfolgt der neuen Maßnahmen sei es wichtig, ab wann und wie oft die Mitgliedstaaten Daten erheben werden.

Die Kommission hatte in ihrem Entwurf für die SAIO-Verordnung vorgeschlagen, dass ab 2025 jedes Jahr die Daten zum Pestizideinsatz erhoben und übermittelt werden sollen. Doch in den folgenden Verhandlungen versuchten die Mitgliedstaaten die Kommissionsinitiative zu verwässern. Sie wollten sich lediglich dazu verpflichten, Daten alle fünf Jahre zu erheben. Anders als zuvor vorgesehen, hätten nach ihrem Vorschlag auch Bäuerinnen und Bauern ihre Daten künftig nicht elektronisch speichern und übermitteln.

Den Widerstand der Mitgliedstaaten führten die Regierungen jener Länder mit großen Agrarsektoren an, darunter Österreich, Deutschland, Irland sowie Spanien. Das deckten die Umweltschutzorganisationen Friends of the Earth und das Pesticide Action Network (PAN) auf. Die Aktivisten teilten mit, dass der Widerstand der Mitgliedstaaten zu einem unbrauchbaren Messinstrument geführt hätten.

Doch in den Schlussverhandlungen Anfang Juni konnten sich die Mitgliedstaaten nicht durchsetzen. Stattdessen müssen die Regierungen laut der vorläufigen Einigung jährlich Daten erheben und an die EU übermitteln – allerdings erst ab 2028, zwei Jahre bevor Bäuerinnen und Bauern das neue EU-Ziel erreichen und ihren Pestizideinsatz halbieren sollen.

Bis dahin klaffen weiter große Lücken in den EU-Statistiken. Denn Landwirtinnen und Landwirte sind derzeit zwar verpflichtet, Daten darüber zu erheben, welche Pestizid sie wann und wo in welcher Menge versprühen. Doch den nationalen Behörden müssen sie diese Zahlen nur auf Nachfrage übermitteln. In welcher Form regelt das EU-Recht bisher nicht, so können Bäuerinnen und Bauern den Statistikämtern wahlweise digitale Tabelle, Notizbücher oder lose Blattsammlungen schicken. Oft überprüfen die Behörden die Unterlagen nur stichprobenartig, um den Pestizideinsatz grob abzuschätzen.

Wenn nationale Behörden Daten an die EU übermitteln, können sie entscheiden, für welche Saatkulturen und welche Jahre sie Zahlen schicken. Verpflichtende Vorgaben existieren dafür momentan nicht. Die unterschiedlichen Einsendungen, machen es der EU-Statistikbehörde offenbar schwer, Zahlen sinnhaft zu vereinheitlichen. So heißt es in einem Eurostat-Papier aus dem Jahr 2019: „Ohne weitere Harmonisierung hat Eurostat keine Möglichkeit, aussagekräftige Daten zu verbreiten.“

Auch der griechische Europaabgeordnete der Linken, Petros Kokkalis, klagt, Daten seien uneinheitlich und würden mitunter nicht veröffentlicht. Er sagt: „Unser Ziel ist es, alle europäischen Länder dazu zu bringen, Daten auf die gleiche Art und Weise und zu gleichen Zeit zu erheben.“

Die neue SAIO-Verordnung legt nun fest, dass die Mitgliedstaaten an Eurostat ab 2028 jedes Jahr Daten über den Pestizideinsatz in einheitlicher, digitaler Form schicken müssen. Im November soll der Kompromiss im Parlament von Kokkalis und seinen Kolleginnen und Kollegen formal beschlossen werden. Auch die Mitgliedstaaten müssen noch im Rat der EU zustimmen. Sobald sie die vorläufige Einigung beschlossen haben, wir sie zum Gesetz – und die EU hätte ihr Instrument, um zu messen, ob der Ausstieg aus den Pestiziden scheitert oder gelingt.