Wie Orpea dubiose Provisionszahlungen für Pflegeheim-Deals verschleierte

Patrick Métais erinnert sich noch genau daran, was er in Luxemburg tat, weil es so ungewöhnlich war. Jahrzehntelang hatte er in Frankreich für den Pflegekonzern Orpea gearbeitet. Dann, 2010, habe ihn der Unternehmensgründer, Jean-Claude Marian gebeten, in das Steuerparadies zu ziehen, „um dort eine neue Tochtergesellschaft zu starten“.  So erzählt es Metais, damals Orpeas medizinischer Direktor, heute im Gespräch mit Investigate Europe. Marian habe ihn aufgefordert bei Orpea zu kündigen, um bei der neuen Gesellschaft einzusteigen. Gesagt, getan. Von Januar bis Dezember 2011 leitete er eine obskure Firma namens Health Luxembourg Invest (HLI). Das Ziel der neuen Gesellschaft: Orpeas Expansion in Luxemburg, Frankreich und der Schweiz vorantreiben.

Damals wuchs Orpea rasant. Binnen weniger Jahrzehnte wurde aus einem kleinen französischen Unternehmen ein Pflegekonzern, der in vielen europäischen Staaten agiert. Heute betreibt Orpea ein Netzwerk aus 1.100 medizinischen Einrichtungen in 23 Ländern. Bei diesem Wachstum spielten auch dubiose Gesellschaften mit Sitz in Luxemburg eine wichtige Rolle, darunter HLI und die Lipany-Struktur, die Investigate Europe kürzlich aufdeckte. Über das Steuerparadies zahlte Orpea heimlich großzügige Vermittlerprovisionen, die im Zusammenhang mit dem Kauf neuer Immobilien für Orpea-Heime standen. Monatelang hat Investigate Europe zu Orpeas geheimen Geldzahlungen im Zusammenhang mit neuen Pflegeheim-Deals recherchiert. Brisant sind diese Zahlungen auch, weil Orpea sein Geschäftsmodell mit der Altenpflege in großem Umfang mit öffentlichen Geldern finanziert.

In seinen ersten Monaten als HLI-Chef habe er nicht an der Seriosität der neuen Gesellschaft gezweifelt, sagt Patrick Métais. In Stadt Luxemburg bezog er ein kleines Büro am Boulevard Joseph II. Métais war nicht alleine. Sein Büro teilte er sich mit dem langjährigen Orpea-Partner, Jean-François Remy. Der habe sich um die Verwaltung kümmern sollen, erinnert sich Métais heute, „während mein Fokus auf dem medizinischen Bereich lag“.Remy hatte jahrelang Orpeas Expansion in Nordfrankreich als selbständiger Zwischenhändler vorangetrieben. Seine Aufgabe war es, Immobilien zu kaufen und von den lokalen Behörden alle notwendigen Genehmigungen einzuholen, um anschließend dort Pflegeheime zu betreiben. Neben Métais und Remy waren auch andere hochrangige Orpea-Mitarbeiter an den HLI-Geschäften beteiligt. Der damalige Orpea-Finanzchef, Sébastian Mesnard, habe das Luxemburger Büro fast jeden Monat besucht, um die „Arbeit zu überprüfen“, sagt Métais. Alles habe damals daraufhin gedeutet, dass HLI Teil des Orpea-Konzerns sei.



Patrick Métais erinnert sich noch genau daran, was er in Luxemburg tat, weil es so ungewöhnlich war. Jahrzehntelang hatte er in Frankreich für den Pflegekonzern Orpea gearbeitet. Dann, 2010, habe ihn der Unternehmensgründer, Jean-Claude Marian gebeten, in das Steuerparadies zu ziehen, „um dort eine neue Tochtergesellschaft zu starten“.  So erzählt es Metais, damals Orpeas medizinischer Direktor, heute im Gespräch mit Investigate Europe. Marian habe ihn aufgefordert bei Orpea zu kündigen, um bei der neuen Gesellschaft einzusteigen. Gesagt, getan. Von Januar bis Dezember 2011 leitete er eine obskure Firma namens Health Luxembourg Invest (HLI). Das Ziel der neuen Gesellschaft: Orpeas Expansion in Luxemburg, Frankreich und der Schweiz vorantreiben.

Damals wuchs Orpea rasant. Binnen weniger Jahrzehnte wurde aus einem kleinen französischen Unternehmen ein Pflegekonzern, der in vielen europäischen Staaten agiert. Heute betreibt Orpea ein Netzwerk aus 1.100 medizinischen Einrichtungen in 23 Ländern. Bei diesem Wachstum spielten auch dubiose Gesellschaften mit Sitz in Luxemburg eine wichtige Rolle, darunter HLI und die Lipany-Struktur, die Investigate Europe kürzlich aufdeckte. Über das Steuerparadies zahlte Orpea heimlich großzügige Vermittlerprovisionen, die im Zusammenhang mit dem Kauf neuer Immobilien für Orpea-Heime standen. Monatelang hat Investigate Europe zu Orpeas geheimen Geldzahlungen im Zusammenhang mit neuen Pflegeheim-Deals recherchiert. Brisant sind diese Zahlungen auch, weil Orpea sein Geschäftsmodell mit der Altenpflege in großem Umfang mit öffentlichen Geldern finanziert.

In seinen ersten Monaten als HLI-Chef habe er nicht an der Seriosität der neuen Gesellschaft gezweifelt, sagt Patrick Métais. In Stadt Luxemburg bezog er ein kleines Büro am Boulevard Joseph II. Métais war nicht alleine. Sein Büro teilte er sich mit dem langjährigen Orpea-Partner, Jean-François Remy. Der habe sich um die Verwaltung kümmern sollen, erinnert sich Métais heute, „während mein Fokus auf dem medizinischen Bereich lag“.Remy hatte jahrelang Orpeas Expansion in Nordfrankreich als selbständiger Zwischenhändler vorangetrieben. Seine Aufgabe war es, Immobilien zu kaufen und von den lokalen Behörden alle notwendigen Genehmigungen einzuholen, um anschließend dort Pflegeheime zu betreiben. Neben Métais und Remy waren auch andere hochrangige Orpea-Mitarbeiter an den HLI-Geschäften beteiligt. Der damalige Orpea-Finanzchef, Sébastian Mesnard, habe das Luxemburger Büro fast jeden Monat besucht, um die „Arbeit zu überprüfen“, sagt Métais. Alles habe damals daraufhin gedeutet, dass HLI Teil des Orpea-Konzerns sei.

Ermittler durchsuchten Pariser Orpea-Zentrale

Doch kurze Zeit später habe der französische Staat das geheime Geschäft fast aufgedeckt, erinnert sich Remy heute. Die Polizei habe im Jahr 2013 Orpeas Pariser Geschäftszentrale durchsucht im Zusammenhang mit einer weiteren Prämienzahlung. Die Beamten stellten HLI-Chef Patrick Métais Fragen zu Yellowstones Geschäften mit Orpea. Von Remy forderten sie Unterlagen zu seinen Luxemburger Gesellschaften. Die Orpea-Manager hätten damals große Angst gehabt, dass die Ermittler zufällig auch auf die Provisionszahlung für das Pflegeheim in den Ardennen stoßen könnten, sagt Remy. „Ein paar Monate später teilte mir Orpeas Entwicklungsleiter, Gérard Tubiana, mit, dass er von seiner Stelle bei HLI aufgeben müsse.“ Diese hatte er seit 2011 inne. Am 6. Januar 2014 reichte Tubiana seinen Rücktritt ein. Die Untersuchungen der französischen Behörden dauern bis heute an. Im Jahr 2021 durchsuchten sie erneut Orpeas Geschäftszentrale.

Orpea ergriff unterdessen weitere Maßnahmen, um die Provisionszahlungen zu verschleiern. Dafür nutzte der Pflegekonzern eine weitere Gesellschaft mit Sitz in Luxemburg: Lipany. Diese Gesellschaft steht im Zentrum einer komplexen Parallelstruktur, die Orpea in den vergangenen Jahren wiederholt nutzte, um dubiose Geschäfte abzuwickeln, wie IE kürzlich aufdecken konnte. Noch am Tag von Tubianas Rücktritt erhielt Remy einen Brief, in dem ihm die Orpea-Tochtergesellschaft Brige mitteilte, dass sie ihre HLI-Anteile „an die Firma Lipany SA übertragen“ habe.

Aus Unterlagen, die Lipany im Luxemburger Handelsregister einreichte, geht hervor, dass die Gesellschaft die HLI-Anteile ebenfalls für knapp 715.000 Euro kaufte. Die Zahlung konnte also aus der Bilanz der Orpea-Gesellschaft Brige gelöscht werden. Bis zu den jüngsten Enthüllungen von Investigate Europe, gab es keinen bekannten Zusammenhang zwischen Orpea und Lipany. Somit verriet im Jahr 2014 nichts mehr, dass Orpea an den hohen Geldzahlungen rund um HLI beteiligt gewesen war.Lipany wurde damals geführt von dem früheren Orpea-Italien-Geschäftsführer Roberto Tribuno. Der bestreitet jegliches Fehlverhalten. „Ich kenne Herrn Remy nicht und mir sind keine Provisionszahlungen bekannt, die durch Health Luxembourg Invest geleistet wurden, denn ich bin nicht an den Geschäften der Tochtergesellschaften beteiligt“, teilte Tribuno auf Nachfrage von Investigate Europe schriftlich mit. Lipany habe die HLI-Anteile gekauft „mit Blick auf die Entwicklung neuer Geschäftsaktivitäten in Luxemburg“.



Über den Kauf der HLI-Anteile erhielt Jean-François Remy etwas mehr als 700.000 Euro der versprochenen 1,5-Millionen-Euro Provision. Wie erhielt er den Rest? Er schildert es heute so: „Die restlichen 800.000 Euro wurden auf ein Konto der Schweizer Yellowstone-Niederlassung überwiesen“. Denn neben Yellowstone Luxembourg hatte Remy mehrere Gesellschaften gegründet mit Sitz in der Schweiz und Frankreich sowie eine Holding auf Zypern. Orpea ließ Frage zu den Provisionszahlungen an Remy unbeantwortet. „Ihre Fragen beziehen sich auf Angelegenheiten, die laut unserem Wissen bereits Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungen sind“, teilte der Pflegekonzern in einer E-Mail mit. „Orpea unterstützt die Ermittlungen vollumfänglich und behält es sich vor, ausschließlich mit den Ermittlern zu sprechen.“ Die früheren Orpea-Manager Le Masne, Marian und Tubiana ließen mehrere E-Mails und Briefe unbeantwortet. Auch der frühere Orpea-Finanzchef Sebastien Mesnard äußerte sich nicht. Von ihm hatte sich der Pflegekonzern im Zeitraum der Investigate-Europe-Recherche zur geheimen Luxemburger Lipany-Struktur getrennt.

Der seltsame Fall von Charleville-Mézières

Die geheime Provisionszahlung an Jean-François Remy ist nicht der einzige Fall, in dem der Orpea-Konzern dubiose Geschäfte mit seinen Dienstleistern betrieb. Nach monatelanger Recherche kann Investigate Europe nun belegen, wie in Luxemburg und in der Schweiz mehrere Firmen gegründet und Konten angelegt wurden, um Provisionen an Unternehmer zu verschleiern, die Orpea neue Pflegeheime vermittelten. Beispielhaft dafür ist der Fall von Charleville-Mézière.

Dort, in der französischen Kleinstadt nahe der belgischen Grenze, beschloss die Verwaltung im April 2015 den Verkauf eines knapp zwei Hektar großen Grundstücks. Darauf sollte ein Pflegeheim entstehen. Die Lizenz für die Einrichtung mit 80 Betten sei an „eine Tochtergesellschaft von Orpea“ vergeben worden, berichtete damals eine Lokalzeitung. Laut einem Protokoll des Stadtrats zahlte der Käufer für das Grundstück 178.000 Euro, nur etwa zehn Euro pro Quadratmeter.Darüber waren nicht alle glücklich. Ein Mitglied des Stadtrats, Sylvain Dalla-Rossa, beklagte im Gespräch mit Investigate Europe, dass sich in Charleville-Mézière einmal mehr ein Pflegekonzern „ein Heim gegriffen habe, das den Menschen gehören sollte“. Doch das stimmt nur halb. Denn tatsächlich hatte die Stadtverwaltung nie direkt mit Orpea verhandelt. Stattdessen war es Jean-François Remy der mit der französischen Niederlassung seiner Yellowstone-Gesellschaft auch hier die Gespräche vorantrieb.

„Yves Le Masne [damals Chef des Orpea-Konzerns], wies mich an, dieses Geschäft abzuwickeln“, erinnert sich Remy im Gespräch mit Investigate Europe. „Die Idee war, dass ich mich um den Deal kümmere, um die verwaltungstechnischen Abläufe und die Stadtplanung, und die Firma anschließend zu einem höheren Preis an Orpea verkaufe.“ Mit diesem Trick hätte Orpea eine weitere Provisionszahlung als Anteilskauf in Luxemburg verschleiert.


Jean-Claude Marian (Orpea’s Gründer) mit Boris Ravignon (Bürgermeister von Charleville-Mézières)

In Charleville-Mézières erhielt das Projekt Unterstützung von höchster Stelle. Der Bürgermeister Boris Ravignon, ein früherer Berater des französischen Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy, stellte dem Stadtrat das Projekt persönlich vor. Dabei sagte er jedoch nicht, dass der Kaufinteressent eine Gesellschaft war, deren Hauptsitz sich in Luxemburg befand. Heute sagt Ravignon: „Der Stadtrat genehmigte den Verkauf des Landes an eine Firma, die vorgab in Orpeas Namen zu arbeiten.“ Dabei gab es zumindest in öffentlich-verfügbaren Registern keine Verbindung zwischen der französischen Yellowstone-Tochtergesellschaft und Orpea.

Letztlich fand das Geschäft nie statt. Der Boden des Grundstücks in einem früheren Industriegebiet war konterminiert und der Kaufpreis wurde nie bezahlt. Orpea bekam zwar kein Pflegeheim, aber Remys Bemühungen entschädigte der Pflegekonzern, in dem er Yellowstone SAS kaufte. Orpeas Immobiliengesellschaft übernahm Yellowstone SAS für 35.000 Euro. Das Geschäft besprachen Orpeas Finanzchef Sébastien Mesnard und Remy in einem SMS-Austausch, den Investigate Europe einsehen konnte.

Remy’s regionales Netzwerk

Der Bürgermeister von Charleville-Mézières, Boris Ravignon, und Orpeas Zwischenhändler Remy kannten sich schon lange. Remy wuchs in einem Dorf unweit der Kleinstadt auf. „Ravignon und ich kannten uns schon immer. Später wurde er Berater von Nicolas Sarkozy im Elysée-Palast“, erinnert sich Remy.

Seine Luxemburger Gesellschaften zeugen von seinen engen Verbindungen zu wichtigen Politikern im Nordosten Frankreichs. In den Unterlagen von Yellowstone SAS findet sich etwa der Name eines früheren Generaldirektors des Rats der nordostfranzösischen Region Ardennen, Alain Guillaumin. Der hatte noch zu Amtszeiten den Preiskatalog für ein Orpea-Heim festgelegt. Die Einrichtung hatte Remy dem Konzern vermittelt. Nach Ende seiner Beamtenlaufbahn arbeitete Guillaumin von 2018 bis 2021 als Verwalter für Yellowstone. Fragen zu seiner Tätigkeit beantwortete Guillaumin nicht. Im Gespräch mit Investigate Europe betonte Remy, dass Guillaumin Orpea keine Gefallen getan habe während seiner Beamtentätigkeit. Für die Zeit nach 2018 sagt Remy: „Ich schlug ihm vor, Direktor von HLI zu werden, weil er sich um eine Finanzierung für uns bemühte, und das gab ihm mehr Gewicht bei seinen Bemühungen, die ohnehin nichts einbrachten.“

Während des Gesprächs mit Investigate Europe in der nordostfranzösischen Stadt Reims trägt Remy ein kariertes Hemd. Er hat eine Aktentasche mitgebracht. Immer wieder betont der Mann, der Orpea mehrere Pflegeheime beschaffte, er habe nichts zu verbergen. Der 66-Jährige arbeitet inzwischen nicht mehr für Orpea. Nach eigenen Angaben versucht Remy den Konzern inzwischen in mehreren Finanzstreitigkeiten zu belangen. 

Lange vor der Trennung, schufen Orpea und Jean-François Remy die Basis ihrer Zusammenarbeit. Die erste Einrichtung, die der Makler Orpea vermittelte war das Patrice-Groff-Pflegeheim in Charlevielle-Mézières. Remy erinnert sich heute, dass er bereits damals eine Provision über den Umweg Luxemburg erhalten habe. Die Anweisungen dazu habe Orpeas Gründer gegeben, Jean-Claude Marian.

Die Geschäfte liefen damals über einen Yellowstone-Vorgänger, eine Gesellschaft namens Compagnie de conseils et services CSS SA. Eine Briefkastenfirma in der Steueroase Nuiue habe diese Gesellschaft im Jahr 2002 gegründet, um eine Provision von einer Million Francs zu zahlen, sagt Remy heute. In der Jahresbilanz der CSS SA ist für 2003 tatsächlich ein Betrag von 156.900 Euro für „Leistungserbringung“ vermerkt.

Investigate Europe konnte einen zweiten Zwischenhändler ausfindig machen, der gemeinsam mit Remy CSS SA verwaltete. Der Mann möchte anonym bleiben, bestätigte aber, dass er selbst die Rechnung für die Provisionszahlung an den Konzern schickte. Der Mann erinnerte sich im Gespräch auch daran, wie die Geschichte des Treuhänders von der Insel Nuiue endete.

„Eines Morgens kam die Polizei“, sagt der frühere Zwischenhändler heute. „Ich machte die Tür auf und sie beschlagnahmten alle Akten.“ Mittels von Firmenunterlagen konnte Investigate Europe diese Aussage verifizieren. Nach einem Besuch von Gerichtsvollziehern, ging CSS SA zu Ende. Die Gesellschaft schuldete dem Staat 44.000 Euro Sozialversicherungsbeiträge, die sie nicht zahlen konnte. Ein Gericht erklärte CSS SA schließlich für Bankrott.

Ein Spielplatz für Orpeas Zwischenhändler im Süden

Dieser unangenehme Zwischenfall hielt die Vermittler allerdings nicht davon ab, weiter mit Orpea zusammen zu arbeiten. Der Pflegekonzern expandierte damals auch in Südfrankreich. Dort, in Bouches-du-Rhône, wurden beim Kauf von zwei Pflegeheimen fragwürdige Provisionen aus dem Ausland gezahlt. In einem der beiden Fälle ermittelt laut Berichten der Zeitschrift Challenge Frankreichs Finanzstaatsanwalt wegen „Steuerbetrugs und schwerer Geldwäsche“. Investigate Europe konnte Unterlagen einsehen, die diese Transaktionen belegen.



Im Jahr 2008 standen zwei begehrte Pflegeheime zum Verkauf: Les Alizées in Saint-Cyr-sur-Mer und Paul Cezanne in Aix-en-Provence. Einer der Haupteigentümer, die Familie Fabre aus Marseille, wollte sich aus dem Geschäft zurückziehen. Ein lokaler Makler, Georges Dubois, machte Orpeas damaligen Entwicklungsleiter, Léon Guimbretière, auf diese Gelegenheit aufmerksam. Der Pflegekonzern nutzte die Chance. Orpea kaufte die Saint-Cyr-Einrichtung für 10 Millionen Euro und das Paul-Cezanne-Heim für 15 Millionen Euro. Die Summen bestätigte einer der Verkäufer, Patrice Fabre, im Gespräch mit Investigate Europe.

Doch zusätzlich gab es eine zweite, geheime Vereinbarung. Die Familie Fabre einigte sich mit Orpeas Maklern darauf, dass sie 2,5 Millionen Euro zu zahlen würden. Die Fabres überwiesen das Geld auf ein Konto Dubois‘ in Spanien. Von dort wurde das Geld auf Guimbretières Konto in der Schweiz weitergeleitet. „Als ich mein Konto prüfte, konnte ich es nicht glauben“, erinnert sich der frühere Orpea-Manager heute im Gespräch mit Investigate Europe. Gemeinsam mit Dubois und den Fabres organisierte er daraufhin eine Reise nach Genf, wo sie sich das Geld teilten. Dort war auch Remy zugegen. Der versicherte Investigate Europe, er sei nur anwesend gewesen, weil er ein Pflegeheim in der Stadt besichtigt habe. Vor Ort habe Guimbretière ihn dann gebeten, mit zur Banca Svizzera Italiana zu kommen. Viele Jahre später, 2016, schlossen lokale Behörden die berüchtigte Bank wegen einer anderen Veruntreuungsaffäre.

„Ich wartete in der Lobby, bis sie ihre Angelegenheiten erledigt hatten. Dann gingen wir in der Nähe Mittagessen”, erinnert sich Remy. „Da erfuhr ich von der Schweizer Provision und ihrem Weg durch Spanien.“

Bis heute beschuldigen sich die ehemaligen Partner gegenseitig. Guimbretière sagt, dass Remy der Drahtzieher hinter der ganzen Aktion gewesen sei. Remy hingegen behauptet, er sei schlichtweg zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Das wird gestützt durch die Aussage von Patrice Fabre, der sagt, er habe nur Kontakt mit Guimbretière und Dubois gehabt.

Investigate Europe konnte Dubois nicht erreichen. Guimbretière bestätigte, dass er eine halbe Million Euro erhalten habe. Dabei habe es sich um den einzigen Fehltritt seiner Karriere gehandelt.

Patrice Fabre sagt heute, dass seine Familie keine andere Wahl hatte, als dem geheimen Plan zuzustimmen. Angesichts der desolaten finanziellen Lage des Paul-Cezanne-Heims sei dies die einzige Möglichkeit gewesen, die „Familie zu retten“. Den genauen Betrag, den er erhalten hatte, nennt er nicht, sagt aber, dass er das Geld aus der Schweiz deklariert habe – und dass weder er noch sein Vater von den Steuerbehörden für das Geschäft bestraft worden seien.

Offizielle Ermittlungen

14 Jahre später geben sich die Beteiligten gegenseitig die Schuld an dieser Konstruktion, von der die französischen Ermittler vermuten, dass sie dazu diente, dass sich Makler und Verkäufer bereichern konnten, während Steuerbehörden umgangen wurden.

Mit Manövern wie diesem erhalten Käufer zudem einen erheblichen Vorsprung gegenüber Konkurrenten, wenn es um den Zuschlag für neue Pflegeheime geht. Sie sind in der Lage höhere Preise zu bezahlen, weil sie diese teilweise nicht versteuern. Guimbretière besteht darauf, dass Orpea nichts von der zweiten Zahlungsvereinbarung wusste. Der Pflegekonzern will nur mit den Ermittlern sprechen. 

Als Challenge seine Recherche veröffentlichte, teilte Orpea mit, dass ihre Manager nicht „direkt involviert“ gewesen seien. Da Orpea nicht an diesen Vorgängen beteiligt gewesen seien, habe der Konzern auch keinen Zugang zu den Ermittlungsakten.

Doch zumindest Guimbretière, damals festangestellt, war an dem Vorgang beteiligt. Er sagte Investigate Europe, dass er von Ermittlern befragt wurde und 400.000 Euro Steuern bezahlen musste. Da die Ermittlungen noch in den Anfängen ist, ist es nicht überraschend, dass Orpea keinen Zugang zu den Akten hat. Doch vergangenen Herbst durchsuchten Anti-Korruptionsbeamte das Hauptquartier des Konzerns.

Frankreichs Finanzstaatsanwalt ermittelt bereits seit 2017 zu dem Abkommen von Bouche-du-Rhône. Während Orpeas Aktienkurs mit jeder neuen Enthüllung weiter abstürzt, warten die ehemaligen Manager und Vermittler auf das Ergebnis der Untersuchung.

“Ich trage diese Geschichte seit 14 Jahren mit mir herum“, klagt Guimbretière. „Ich habe einen Fehler gemacht und bereue das jeden einzelnen Tag. Wenn es um Millionen geht, kann man leicht die Nerven verlieren. Man will etwas davon abhaben.“In einem Telefonat mit IE versucht der ehemalige Entwicklungsleiter noch immer, die Sache zu relativieren: „Immerhin ging es nur um Geld. Wir haben schließlich niemanden umgebracht.“


Glossar

  • Jean-François Remy, ehemaliger Zwischenhändler für Orpea in Nordfrankreich
  • Georges Dubois, ehemaliger Zwischenhändler für Orpea in Südfrankreich
  • Patrice Fabre, verkaufte Orpea zwei Pflegeheime in Südfrankreich
  • Boris Ravignon, Bürgermeister von Charleville-Mézières
  • Alain Guillaumin, ehemaliger Beamter in der Region Ardennen
  • Jean-Claude Marian, Orpea-Gründer 
  •  Yves Le Masne, ehemaliger Orpea-CEO
  • Gérard Tubiana, ehemaliger Chef der Orpea-Entwicklungsabteilung
  • Sébastien Mesnard, ehemaliger Orpea-Finanzchef
  • Léon Guimbretière, ehemaliger Chef der Orpea-Entwicklungsabteilung

Redaktion: Elisa Simantke 

Illustrationen: Joanna Kopacka, Manuel Rico, Federica Bonetti