EU-Militärförderung bevorzugt wenige Rüstungsgiganten

Mit seinem Krieg in der Ukraine bombte Russlands Präsident Wladimir Putin Verteidigungsthemen hoch auf die politische Agenda. „Die Menschen wollen genau wissen, was die EU in diesem Bereich tut – wofür Geld ausgegeben wird“, sagt die Europäische Bürgerbeauftragte Emily O’Reilly im Gespräch mit Investigate Europe. Die EU-Bürgerinnen und -Bürger würden sich nun dafür interessieren, „welche Arten von Projekten anstehen, wie die Politik sich verändert“.

Deshalb hat Investigate Europe in den vergangenen Monaten Daten analysiert, die zeigen, in welche Verteidigungsprojekte die EU-Staaten mit wie viel Geld fördern.

In den Jahren 2019 bis 2020 unterstützte die EU die Waffenforschung mit 500 Millionen Euro. Dafür nutzte sie ein Programm namens EDIDP ( European Defence Industrial Development Programme). Dessen Ziel war laut EU die „Unterstützung der Wettbewerbsfähigkeit und der Innovationskapazität der EU-Verteidigungsindustrie“. Von den Finanzmitteln profitierten vor allem eine Handvoll Firmen: Airbus, Leonardo, Thales, Dassault Aviation und Indra Sistemas. Gemeinsam sind sie an 23 der 41 EDIDP-Projekte beteiligt, die mit insgesamt 363 Millionen Euro unterstützt werden.

EU-Gelder gingen an Unternehmen, die wenigen Mitgliedsstaaten gehören

In den Förderrichtlinien der EU heißt es: „Nur kollaborative Projekte unter Beteiligung von mindestens drei qualifizierten Institutionen aus mindestens drei Mitgliedsstaaten werden finanziert.“ Tatsächlich teilten ein paar wenige Staaten das Geld unter sich und unter ihren Rüstungskonzernen auf.

So wurde das meiste Geld für Projekte aufgewendet, an denen Unternehmen aus vier EU-Staaten beteiligt waren: Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien. Diese Länder waren es auch, die im Jahr 2017 das EU-Programm zur „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ (Pesco) der EU ins Leben riefen, mit dem die gemeinsame Rüstungsarbeit koordiniert werden soll.



Französische Unternehmen waren an 33 der 41 EDIDP-Projekte beteiligt, spanische an 32, italienische an 25 und deutsche an 20. Doch es sind vor allem einige wenige Waffenproduzenten dieser vier Staaten, die an vielen der Initiativen beteiligt sind, die nun EU-Gelder erhalten:

  • Thales, das zu 25,6 Prozent dem französischen Staat gehört, ist an 17 EDIDP-Projekten beteiligt, die von der EU mit 230 Millionen Euro finanziert werden.
  • Airbus, an dem Frankreich, Deutschland und Spanien Anteile halten, nimmt an zwölf EDIDP-Projekten teil, die von der EU mit 222 Millionen Euro unterstützt werden.
  • Leonardo, an dem Italien fast ein Drittel der Anteile hält, ist an 15 Projekten beteiligt, in welche die EU 301 Millionen Euro investiert.


Wir analysierten auch, wer neben den EU-Staaten Anteile an den Rüstungskonzernen hält. Dabei stießen wir auf eine Matroschka-Puppe. Die Waffenproduzenten sind tief miteinander verbunden und ineinander verschachtelt. So hält der multinationale Airbus-Konzern Anteile am französischen  Dassault, dem wiederum Anteile des Thales-Konzerns gehören. Thales besitzt Anteile an kleinere Rüstungskonzernen wie dem portugiesischen Edisoft oder der französischen Naval Group. Die Konzerne sind so eng miteinander verbunden, dass am Ende vor allem die Giganten von den Fördergeldern der EU profitieren dürften.

Doch damit nicht genug. Die großen Konzerne waren nicht nur an vielen Projekten beteiligt, sondern auch an jenen, welche die EU massiv förderte. Das Prestigeprojekt Eurodrohne unterstützt die EU mit rund 100 Millionen Euro. Daran beteiligt sind nur die großen Rüstungskonzerne Airbus (Frankreich, Deutschland, Spanien), Dassault (Frankreich) und Leonardo (Italien).

Konkurrenten sind wütend, Experten besorgt

Dabei hatte die Kommission das eigentlich einst anders geplant. Als eines der Ziele ihrer EU-Verteidigungsentwicklung nennt sie es, die „grenzüberschreitende Kooperationen zwischen Unternehmen EU-weit zu unterstützen und in Schwung zu bringen, sowohl kleine und mittlere Vorhaben (SMEs) als auch Unternehmen mit mittlerem Börsenwert (mid-caps)“.

Dabei können große Rüstungskonzerne, die Anteile an vielen kleinen Firmen halten sich auch eines Tricks bedienen. Denn in den Förderrichtlinien heißt es: „Nur kollaborative Projekte unter Beteiligung von mindestens drei qualifizierten Institutionen aus mindestens drei Mitgliedsstaaten werden finanziert.“ Die Regeln sehen keinen Schutz vor großen Konzernen vor, denen SMEs grenzüberschreitend gehören. Ein und derselbe Konzern kann drei „Institutionen“ in verschiedenen Mitgliedsstaaten besitzen. Auch wenn tatsächlich viele SMEs an den gemeinsamen Anträgen beteiligt sind, bekommen sie nur einen Bruchteil der Förderung, die die großen Akteure erhalten.

Investigate Europe kontaktierte mehrere kleine Rüstungsunternehmen, die trotz allem EU-Fördergelder erhielten. Die Unternehmer, die ihre Namen nicht in der Zeitung lesen wollen, sagten, sie sehen den Einfluss der Megakonzerne kritisch, ebenso wie ihrer Macht auf einem Markt, dessen einzige Kunden Staaten sind.

Der Wirtschaftswissenschaftler Martin Schmalz von der Oxford-Universität findet es besorgniserregend, dass nur wenige Konzerne den EU-Rüstungsmarkt dominieren. „Wenn man sich den Börsenwert dieser Konzerne ansieht, bekommt man nicht den Eindruck, dass sie ihre Produkte zum Einkaufswert verkaufen. Was mich mehr besorgt als der Schaden für den Wettbewerb, ist Lobbyarbeit: ein großes Interesse Einzelner an höheren Rüstungsausgaben könnte politische Entscheidungen und die öffentliche Debatte beeinflussen.“

Der Forschungsdirektor im American Economic Liberties Project, Matt Stoller, sieht die Machtkonzentration auf dem europäischen Verteidigungsmarkt ebenfalls kritisch. „Grundsätzlich kann man sagen, dass die Konsolidierung des Verteidigungssektors zu weniger Innovation und schlechteren Preisen für die Regierungen führt“, sagte er Investigate Europe. „Das größte Risiko bei Verteidigungsausgaben ist Korruption, weil Lobbyismus sich bei solch hohen Geldsummen sehr lohnt. Das Risiko erhöht sich, wenn es einen kleinen Kreis von Insidern gibt, sei es durch Überschneidung von Besitzverhältnissen, gemeinsame Eigentümerschaft oder einfach durch den Mangel an Anbietern.“

Übermäßig viele Rüstungshersteller in den Expertengruppen der EU-Kommission

Rüstungskonzerne haben einen großen Einfluss auf die Verteidigungspolitik der EU-Kommission. Im Jahr 2015 schuf die Kommission eine, wie sie es nannte „Gruppe von Persönlichkeiten zur Verteidigungsforschung“, die eine Strategie für eine europäischer Sicherheits- und Verteidigungspolitik erarbeiten sollte. Siebe der 16 Mitglieder des Gremiums vertraten die Rüstungsindustrie. Darunter Mitarbeiter von Airbus, BAE Systems, Finmeccanica (mittlerweile Leonardo), Saab und Indra. Zudem arbeiteten zwei der Gremiumsmitglieder für militärische Forschungsinstitute. Nicht dabei waren zivilgesellschaftliche Akteure oder Hochschulvertreter.

In seinem Abschlussbericht forderte das Gremium, „Europas gesamte Militäraufstellung zu stärken“. Dafür müsste die EU 3,5 Milliarden Euro in Militärforschung investieren. Die Kommission folgte dieser Empfehlung. Sie übernahm sie wörtlich in ihren Verteidigungsaktionsplan, den sie im November 2016 veröffentlichte.

Amerikanische Fonds als Anteilseigner von EU- und US-Rüstungskonzernen

Neben den EU-Staaten halten auch US-amerikanische Investitionsfonds Anteile an den europäischen Rüstungskonzernen. Doch nicht nur. Sie halten ebenfalls Anteile an den US-Konkurrenten, zu denen gehören Boeing, Lockheed Martin oder Northop Grumman.



Investigate Europe konnte Daten einsehen, die zeigen, dass der US-Fonds BlackRock Anteile an Airbus, Leonardo, Thales, Indra Sistemas und Dassault hält. Zudem besitzt BlackRock auch Anteile an Boeing, Lockheed Martin, Raytheon Northop und General Dynamics. Ähnlich verhält es sich mit den US-Fonds Capital und Vanguard.

Das sei ein „großes Problem“, sagt der Historiker Matt Stoller. Denn diese sogenannte common ownership schaffe Anreize für „höhere Preise, weniger Innovation und geringere Leistung“. Common ownership entsteht, wenn ein Großteil konkurrierender Firmen eines Sektors den gleichen Anteilseigner gehört. Die gemeinsamen Eigentümer könnten den Wettbewerb schwächen.

Ob das die Strategie der amerikanischen Fonds in der europäischen Rüstungsindustrie ist, sei unklar, sagt Stoller. „Indexfonds wie BlackRock und Vanguard zielen vermutlich nicht speziell auf den Militärsektor ab, sondern kaufen im großen Stil Firmenvermögen. Trotzdem ist es ein großes Problem, dass Fonds aus der Ferne eine erhebliche Anzahl von Firmen einer Branche kontrollieren.“

Auch Martin Schmalz sagt, dass seiner Intuition nach die „nationalen Interessen viel wichtiger sind als der Einfluss oder mangelnde Einfluss bestimmter Anteilseigner“. Nichtsdestotrotz sei die Lage riskant. “Die aktuelle Konsolidierung in der Branche in Kombination mit der gemeinsamen Eigentümerschaft könnte dazu führen, dass der ohnehin schon schwache Wettbewerb weiter geschwächt wird.“

EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager ließ eine Anfrage von Investigate Europe zur Common Ownership unbeantwortet. Aus der Kommission heißt es, dass „bestimmte Verteidigungsmärkte hochkonzentriert“ seien. Man könne aber nichts tun, solange es keine “Beweise für wettbewerbsschädigende Verhalten“ gebe.

“Ich mache mir keine Sorgen“, sagte der EU-Kommissar für den Binnenmarkt, Thierry Breton, Investigate Europe. Für die Kommission soll er das Nachfolgebudget des EDIDP, den Europäischen Verteidigungsfonds, betreuen. „Ich habe meinen Studenten immer den Unterschied zwischen Aktienbesitz und der Verantwortung eines Unternehmens und seiner Geschäftsführung erklärt. In Europa bringen wir diese oft durcheinander.”

BlackRock versicherte uns, dass „Angelegenheiten der Militärpolitik“ seien nie Teil der Konsultationen mit EU-Anteilseignern gewesen. Auf Nachfrage von Investigate Europe teilte BlackRock mit, dass der Fonds keinen Einfluss darauf nehme, wie Unternehmen geführt werden. „Das ist die Verantwortung der Vorstände und der Geschäftsführung.“

Selbst wenn EU-Politiker und BlackRock versichern, dass es kein Problem gebe, ist Laetitia Sedou vom Europäischen Netzwerk gegen Waffenhandel (ENAAT) besorgt. „Wir öffnen hier die Büchse der Pandora“, sagt sie. „Europa wird zur Melkkuh, eine Quelle der uneingeschränkten Finanzierung.“

Investigate Europe kontaktierte alle genannten Fonds und Unternehmen geschickt. Nur BlackRock schickte eine offizielle Antwort. Die fünf Rüstungshersteller Thales, Leonardo, Airbus, Indra Sistemas und Dassault haben bis zur Veröffentlichung dieses Beitrags nicht geantwortet.