Trotz Ausstieg bleibt der Energiechartavertrag eine Gefahr

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Spanien, die Niederlande, Polen und Frankreich. Rasant wuchs zuletzt die Liste der Regierungen, die ankündigten, mit dem umstrittenen Energiechartavertrag zu brechen. Vergangene Woche erklärten auch Deutschland und Slowenien, das Abkommen verlassen zu wollen. Weitere EU-Staaten könnten folgen. Doch auch nach dem Ausstieg könnte die Charta weiter die Energiewende-Pläne der EU-Staaten über Jahrzehnte hinweg blockieren.

Bis vor wenigen Jahren wusste kaum jemand bis auf wenige Fachleute, was sich hinter dem Energiechartavertrag verbirgt. Das Abkommen aus dem Jahr 1994 sollte einst Investitionen von EU-Unternehmen in ehemaligen Sowjetstaaten absichern. Doch heute nutzen vor allem Unternehmen aus der EU das Abkommen, um EU-Staaten zu verklagen, wenn sie sich „unfair“ behandelt fühlen. Der deutsche Energiekonzern RWE verklagte mit Hilfe des Abkommens unlängst die Niederlande auf 1,4 Milliarden Euro, weil das Land seinen Kohleausstieg vorzog.

Im vergangenen Jahr berechnete Investigate Europe erstmals, dass der Vertrag in Europa fossile Infrastruktur im Wert von mindestens 344,6 Milliarden Euro schützt. Allein die Drohung einer Klage reicht schon, damit Regierungen ihre Ausstiegspläne überdenken. Kurz nachdem Frankreich vor wenigen Jahren ankündigte, die Förderung fossiler Energieträger vollständig verbieten zu wollen, flatterte dem zuständigen Minister ein Brief ins Haus. Darin drohte der Öl-Konzern Vermilion offen mit einer Charta-Klage. Die finale Version des Gesetzes erlaubte schließlich Öl-Förderungen bis 2040.

Doch nun, trotz der Ausstiege mehrerer Mitgliedstaaten, bleiben Risiken. Denn Energieunternehmen können weiterhin mit Hilfe der Charta die bald ehemaligen Vertragsstaaten wie Deutschland oder Frankreich vor Schiedsgerichten verklagen und so deren ohnehin nur mäßigen Klimabemühungen weiter abschwächen. Schuld ist Vertragsartikel 47. Denn darin legten die Chartagründerinnen und -gründer fest, dass der Vertrag ab Ausstieg noch weitere 20 Jahre gilt. Kürzlich verurteilte ein Schiedsgericht Italien, das im Jahr 2016 als erster EU-Staat das Abkommen verlassen hatte, dazu, der britischen Öl-Firma Rockhopper 240 Millionen Euro zu zahlen. Der Staat hatte im Jahr 2015 mehrere Öl-Bohrungen vor seiner Küste untersagt.

Doch trotz der Vertragsklausel, könnten die EU-Staaten einen Pakt schließen, um es europäischen Energieunternehmen zu erschweren sie für Öl-, Kohle- oder Gasausstiege zu verklagen. Mit einem sogenannten Inter-se-Abkommen könnten die Regierungen vereinbaren, dass Investoren aus der EU nicht länger gegen EU-Staaten klagen könnten. Der Effekt wäre gewaltig: In zwei von drei Energiechartaverfahren klagen europäische Investoren gegen die EU.

Die EU-Kommission hatte bereits Anfang Oktober ein solches Inter-Se-Abkommen entworfen und den Mitgliedstaaten vorgelegt. Doch statt den gemeinsamen europäischen Pakt voranzutreiben, versuchten EU-Mitarbeiter für einen Verbleib im ECT zu werben – ohne Erfolg.

Am Dienstag dieser Woche wollten die EU-Staaten darüber entscheiden, ob sie Ende November auf jährlichen Energiechartakonferenz der modernisierten Fassung zustimmen werden. Doch die Entscheidung wurde vorerst vertagt. Angesichts der jüngsten Ankündigungen mehrerer Regierungen den Vertrag zu verlassen, scheint eine europäische Zustimmung unwahrscheinlich. Nun muss die Kommission zügig handeln gemeinsam mit den Mitgliedstaaten, um den Einfluss der Energiekonzerne auf notwendige Klimamaßnahmen zu begrenzen. Das Ende der Energiecharta kann nur der Anfang sein.