Deutschland bereitet Ausstieg aus Energiecharta vor

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Der Energiechartavertrag ist ein kaum bekanntes Investitionsschutzabkommen. Anfang der Neunzigerjahre unterschrieben alle EU-Staaten darunter auch Deutschland das Abkommen, um Investitionen in den ehemaligen Sowjetstaaten abzusichern. Mittlerweile haben 55 Vertragsparteien den Vertrag unterzeichnet. Doch wie Recherchen von Investigate Europe im vergangenen Jahr zeigten, hat das Abkommen mehrere Probleme.

Der Vertrag ist einseitig, nur Unternehmen können Staaten verklagen. Zudem ist der Vertragstext vage formuliert. Investoren können klagen, wenn sie sich „unfair“ behandelt fühlen. Allein in Europa schützt der Vertrag nach Recherchen von Investigate Europe fossile Infrastruktur im Wert von 344,6 Milliarden Euro. In den vergangenen Jahren nutzten Investoren den Vertrag bereits, um EU-Staaten einzuschüchtern und Entschädigungen in Milliardenhöhe zu fordern. Die französische Regierung schwächte so etwa präventiv ein Klimagesetz ab, dass die Förderung fossiler Energieträger verbieten sollte. Der deutsche Energiekonzern RWE verklagte die Niederlande unlängst auf 1,4 Milliarden Euro, weil das Land seinen Kohleausstieg vorzog.

In den vergangenen fünf Jahren hatte die EU-Kommission sich deshalb dafür eingesetzt, den Vertrag zu reformieren. Dieser Prozess wurde im Juni dieses Jahres abgeschlossen. Die Kommission hat das Abkommen als Erfolg gefeiert und behauptet, dass sie ihr „Mandat erfüllt“ und „den ECT mit dem Pariser Abkommen und [den] Umweltzielen [der EU] in Einklang“ gebracht habe. Doch das sehen viele Mitgliedstaaten anders.

„Der Auftrag an die Europäischen Kommission lautete, den Energiechartavertrag in Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen zu bringen“, sagte der niederländische Energieminister Rob Jetten am Dienstag vor dem Parlament in Den Haag. Trotz vieler Fortschritte in den Verhandlungen, sei das Abkommen „nicht ausreichend mit dem Pariser Abkommen in Einklang“ gebracht worden. Deshalb würden die Niederlande das Abkommen verlassen.

Bereits in der vergangenen Woche hatte Politico berichtet, dass Spanien aus dem Energiechartavertrag aussteigen werde. In Polen hatte die Regierung im August einen Gesetzesentwurf zur „Beendigung des Energiechartavertrags“ auf den Weg gebracht. Ihren Vorstoß begründete sie unter anderem damit, dass ein Ausstieg aus dem Vertrag „das Potenzial hat die finanzielle Belastung des Staates deutlich zu reduzieren“. Anfang Oktober stimmten 418 der 460 Mitglieder des polnischen Parlaments für den Gesetzesentwurf. Er muss nun noch den Senat des Landes passieren.

Neben den Polen, Spanien, den Niederlanden und nun bald eventuell Deutschland könnten weitere Mitgliedstaaten zeitnah den Energiechartavertrag verlassen. In Brüssel stimmen die EU-Mitgliedstaaten ihr Vorgehen in der Ratsarbeitsgruppe Energie ab. Laut den Notizen eines anwesenden Diplomaten äußerte ein französischer Vertreter Anfang Oktober, dass Frankreich „die Ergebnisse der Modernisierung für nicht ausreichend erachte“. Dies betreffe vor allem „die Anpassung an das Pariser Abkommen“. Im schlechtesten Falle würden bestehende Investitionen in fossile Energieträger weiterhin bis 2040 geschützt.

Doch auch wenn nun mehrere Mitgliedstaaten aus dem Abkommen aussteigen, werden sie den Energiechartavertrag nicht so einfach los. Denn die Autoren des Vertrags sorgten für diesen Fall vor. In Artikel 47 des Vertrags legten sie Anfang der Neunzigerjahre fest, dass falls ein Staat den Vertrag verlasse die „Bestimmungen dieses Vertrags über einen Zeitraum von 20 Jahren weiter“ gelten. So verklagte der britische Öl-Konzern Rockhopper Italien, weil das Land im Zuge der Klimakrise Ölbohrungen verboten hatte. Italien hatte den Vertrag als erster EU-Staat bereits 2016 verlassen. Dennoch urteilten Schiedsrichter im August dieses Jahres, dass Italien Rockhopper mit 190 Millionen Euro plus Zinsen entschädigen muss. Der Konzern hatte in seine Bohrungen nur 25 Millionen Euro investiert.