Spanien und Portugal riskieren Überfischung im Mittelmeer und der Biskaya

Die Regierungen Spaniens und Portugals wollen auch im Jahr 2022 mehr Fischfang im Mittelmeer und in atlantischen Gewässern vor der iberischen Halbinsel zulassen, als die EU-Kommission und ihre wissenschaftlichen Berater fordern, um die drohende Überfischung der Fischbestände abzuwenden. Das geht aus internen Berichten über die Verhandlungen im Rat der EU über die gesetzlichen Fischfangquoten hervor, die dem Journalistenteam Investigate Europe vorliegen. Demnach wollen die beiden Regierungen nicht akzeptieren, dass 

  • ihre Fischer im westlichen Mittelmeer das Fischen mit den besonders schädlichen Schleppnetzen reduzieren, um den Bestand von Fischarten am Boden wie Mittelmeer-Seehecht, Rotbarbe oder rote Garnelen zu schützen;
  • der Fang von südatlantischem Hecht und Seezunge in der Biskaya zum Schutz vor Überfischung um ein Fünftel bis zur Hälfte gemindert werden soll;
  • der Fang von Kaisergranat, eine beliebten Art des Hummers, vor den Küsten Spaniens und Nordportugals in einigen Regionen ganz eingestellt und im Golf von Cadiz erheblich reduziert werden muss. 

Um diese und weitere Forderungen zum Schutz der Fischbestände auszuhandeln, treffen die Fischereiminister der EU am Sonntag und Montag in Brüssel zusammen. 

Die beiden Regierungen hatten ihre Ablehnung der geforderten Schutzmaßnahmen bei den Sitzungen der Ratsarbeitsgruppe Fischerei am 18. und 25 November angemeldet. 

Der spanische Vertreter in der Runde ergriff gleich zwei mal das Wort und sperrte sich gegen die „weitere Reduzierung der Schleppnetzfischerei“ und des Fangs von Garnelen und den als „demersale Arten“ bezeichneten Grundfischen.

Diese Haltung „widerspricht ganz klar dem wissenschaftlichen Rat“, kritisiert der Meeersökologe Javier Lopez, der für die Umweltorganisation Oceana die umstrittenene Fischereipolitik der EU verfolgt. So betrage der Fang von Grundfischen im westlichen Mittelmeer bisher das 2,7 fache der Menge, die als „maximaler nachhaltiger Ertrag“ ermittelt wurde. Diesbisherigen Maßnahmen seien darum „völlig unzureichend“ und „die Kommission hat recht, wenn sie eine drastische Reduktion fordert.“

Der spanische Agrar- und Fischereiminister Luis Planas bestreitet den Widerspruch rundheraus. Auf Nachfrage erklärte seine Sprecherin, der spanische Fischereisektor im Mittelmeer habe „in den letzten zwei Jahren bereits eine erhebliche Reduzierung des Fischereiaufwands vorgenommen“. Darum seien erst deren „Auswirkungen zu bewerten“  bevor „weitere Aufwandsreduzierungen die Lebensfähigkeit der Mittelmeerflotte gefährden“.  

„So riskiert die Regierung lieber eine weitere Überfischung, anstatt den Fischern die Wahrheit zuzumuten“, kommentiert Meeresschützer Lopez. 

Ähnlich agiert die portugiesische Regierung. Diese forderte schriftlich, dass die Fangquoten für Seehecht und Seezunge entgegen dem ausdrücklichen Rat der von der EU berufenen Experten nicht weiter gekürzt werden, eine Position, die auch von Spanien unterstützt wird. Ein Sprecher des zuständigen portugiesischen Ministers Ricardo Serrão Santos erklärte dazu auf Nachfrage von IE, die Wissenschaftler würden „nur die Umweltkomponente berücksichtigen.“ Aber „wie bei allen wissenschaftlichen Gutachten“ gebe es „Spielräume, die es ermöglichen, innerhalb der Grenzen des Modells verschiedene Ansätze zu diskutieren und auszuhandeln.“

Mit dieser Haltung sind die iberischen Regierungen allerdings nicht allein,  berichtet die Fischereiexpertin Jenni Grossmann, die für die Umweltorganisation Client Earth seit langem für den Schutz der Fischbestände streitet. Besondere Sorge machten Grossmann die zahlreichen „Anmerkungen“ und „Kommentare“ von Vertretern aus Dänemark, Frankreich und den Niederlanden, die sich eher gegen weitere Beschränkungen aussprachen. 

So bahne sich auch für die Nordsee und den Nordatlantik an, dass die nördlichen EU-Staaten gemeinsam mit Norwegen und Großbritannien „mit dem Verweis auf wissenschaftliche Unsicherheiten lieber die Überfischung riskieren als vorsorglich die Fangquoten zu senken“, fürchtet Grossmann. 

Dabei wäre genau das rechtlich zwingend geboten. Schon 2013 hatten sich die EU-Staaten gesetzlich zur Beendigung der Überfischung in den europäischen Meeren bis 2020 verpflichtet. Doch in vielen Regionen wurde dieses Ziel verfehlt, weil die verantwortlichen Minister den Forderungen der Fischindustrie nachgaben. „Viele Fangbeschränkungen wurden trotz der Bemühungen der Kommission, die Dinge in die richtige Richtung zu lenken, immer noch über den Empfehlungen festgesetzt“, beklagte Grossmann im Gespräch mit IE nach den Verhandlungen über die Fangquoten im vergangenen Jahr. Beispiele seien der südlicher Seehecht, der Köhler im Golf von Biskaya und in den iberischen Gewässern sowie Kabeljau im Kattegat.“ Für all diese Bestände liegen nur begrenzte Daten vor und darum sei „mehr Vorsicht geboten“, aber der Rat der EU habe viele Fangquoten über den wissenschaftlichen Empfehlungen festgelegt und damit die Erholung der Bestände gefährdet.

Die gleiche Verfehlung drohe nun wieder, fürchtet auch Javier Lopez von Oceana. „Die Kommission steht im Rat allein“, erwartet er. „Da decken sich die Regierungen gegenseitig, niemand wird überstimmt.“