Graues Gold — Das Milliarden-Geschäft mit der Altenpflege

„“Du konntest sehen, was kommen würde… und es war wie dein schlimmster Albtraum. Weil du dich gefühlt hast wie, oh mein Gott. So etwas habe ich noch nie gesehen.“”

Eileen Chubb, Leiterin der NGO „Compassion with Care“, über die Zustände in europäischen Pflegeheimen während der Pandemie

„Gemeinsam mit meinem Sekretär bin ich alleine für 400 Pflegeeinrichtungen zuständig. Ich müsste also zwei Heime am Tag kontrollieren, und zusätzlich soll ich neue Einrichtungen prüfen, bevor sie eröffnet werden.“

Giuseppe Greco, Chefkontrolleur der Gesundheitsbehörde von Turin in Norditalien

Die alten Menschen haben es nicht verdient, so behandelt zu werden. Niemand hat das verdient. Ich bin daran kaputt gegangen. Ich habe in den Heimen Schlimmes gesehen und Mängel festgestellt. Dann im folgenden Jahr war es wieder so.

Eine frühere Mitarbeiterin der Heimaufsicht in Bayern, anonym

Eine alternde Gesellschaft und eine stabile öffentliche Finanzierung sind die Grundlagen für das lukrative Geschäft. In Spanien betreiben gewinnorientierte Unternehmen bereits 80 Prozent aller Pflegeheime, in Großbritannien sind es 76 Prozent, in Deutschland sind vier von zehn Heimen in privater Hand. Und es werden immer mehr. In den vergangenen vier Jahren haben allein die 25 führenden Unternehmen ihre Kapazitäten um 22 Prozent erhöht. Der europäische Marktführer Orpea hat seinen Aktienkurs seit 2015 verdoppelt. Korian, die Nummer zwei der Branche, kündigte jüngst an, weitere Einrichtungen in Italien und Großbritannien kaufen zu wollen. Manche Konzerne nutzen undurchsichtige Strukturen, wie zum Beispiel DomusVi, ein weiterer Akteur mit Sitz in Frankreich. Der Besitz von dessen Heimen läuft über Gesellschaften an Orten wie Luxemburg oder den Jersey-Inseln. Diese Konstrukt führt dazu, dass DomusVi auf dem Papier stets Verluste macht und keine Steuern zahlen muss.



Dem Milliarden-Geschäft mit der Altenpflege sind die Reporterinnen und Reporter von Investigate Europe gemeinsam mit Medienpartnern von Portugal bis Schweden quer durch 15 europäische Länder nachgegangen. Dabei fanden Sie beunruhigende Entwicklungen:

  • Ein immer größerer Anteil der Gelder, die Regierungen für die Pflege ausgeben, fließt auf die Konten internationaler Konzerne und Finanzinvestoren. Für sie hat der Markt ein riesiges Potenzial. Denn nach Angaben der OECD zahlen die EU-Staaten jährlich 220 Milliarden Euro an die Betreiber von Pflegeeinrichtungen.
  • Bereits heute betreiben gewinnorientierte Unternehmen einen wichtigen Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Die 25 größten Konzerne verfügen europaweit über mehr als 455.000 Pflegeplätze. Nach Recherchen von Investigate Europe konnten sie ihre Kapazitäten binnen der vergangenen vier Jahre um 22 Prozent erhöhen.
  • Wenn Pfleger und Pflegerinnen dies dennoch versuchen, müssen sie mit drastischen Konsequenten rechnen.
  • Finanzinvestoren drängen ebenfalls in den Pflegemarkt. Investigate Europe konnte 30 Private-Equity-Fonds identifizieren, die in dem Markt aktiv sind. Diese meist anonymen Investoren betreiben komplizierte Unternehmenskonstrukte, um möglichst wenig Steuern auf ihre Gewinne zu zahlen, die sie mit öffentlichen Geldern erzielt haben. Dafür leiten sie ihre Erlöse in Offshore-Zentren wie die Jersey-Inseln um.
  • Die zunehmende Privatisierung und die steigende Beteiligung von Finanzinvestoren führt in vielen EU-Staaten dazu, dass in den Heimen weniger Pflegerinnen und Pfleger eingesetzt werden und die Qualität der Pflege vielerorts einbricht.
  • Staatliche Behörden versagen bei den Kontrollen. In vielen Ländern werden Qualitätsprüfungen nur sehr selten durchgeführt. Mitunter begutachten Prüferinnen und Prüfer dafür nicht einmal die pflegebedürftigen Menschen selbst, sondern lesen nur die Pflegedokumentation.

Wie passen enorme Profite zu einem Sektor, der unterbesetzt und unterfinanziert ist? Wieso erlauben Regierungen diese Zustände? Was sind die Konsequenzen? Und: Gibt es Alternativen zum Milliarden-Geschäft mit der alternden Gesellschaft?

Wievel geben EU-Staaten für die Altenpflege aus?

Angegeben als Anteil am BIP

Lesen Sie unsere Recherche-Ergebnisse hier auf unserer Website und bei unseren Medienpartnern. Dies ist eine laufende Recherche, die regelmäßig aktualisiert wird.

Veröffentlichungen