Jon Worth, Politikberater: „Die großen Bahnkonzerne wollen kein europäisches Bahnnetz“

Sie wollen Nachtzüge zurück auf Europas Schienen bringen. Warum soll Ihnen etwas gelingen, an dem die europäischen Bahnkonzerne scheitern?

Die großen nationalen Bahnbetreiber haben kein Interesse daran das Problem zu lösen. Die Deutsche Bahn könnte morgen eine neue Nachtzugflotte bestellen, aber sie will es nicht. Der Grund dafür ist, dass für die Deutsche Bahn nationale Linien profitabler sind als internationale Verbindungen. Das gilt auch für andere Bahnkonzerne wie SNCF, Trenitalia oder Renfe. Demgegenüber versuchen kleine Firmen neue Lösungen für den Fernverkehr zu finden. Aber Anbieter wie Regiojet in Tschechien, Europeansleeper in den Niederlanden oder Snälltåget in Schweden haben kaum finanzielle Mittel, um eine Nachtzugflotte zu bestellen. Dabei will ich helfen.

Was haben Sie vor?

Der Bedarf an Nachtzügen ist immens. Doch selbst der Gebrauchtmarkt für Schlaf- und Liegewagen ist fast vollständig leergekauft. Momentan werden dort zu enormen Preisen Wagen aus den frühen Achtzigerjahren angeboten, die nur langsam fahren. Mit meiner Kampagne „Trains for Europe“ habe ich das Ziel, dieses Problem zu lösen. Ich versuche Strategien zu erarbeiten, wie die EU den Nachtzugengpass beseitigen könnte. Grob gesagt, sehe ich dafür zwei Möglichkeiten: Die EU kauft selbst Züge und least diese an die Unternehmen oder die EU schafft einen finanziellen Rahmen, damit Leasingunternehmen Züge anschaffen können. 

Vergleicht man das Nachtzugnetz der Siebzigerjahre mit dem Nachtzugnetz von heute, wird deutlich, wie viele Verbindungen gestrichen wurden. Wie kam es dazu?

Besonders gut lässt sich das an einem Beispiel erläutern, der Strecke zwischen Paris und Barcelona. Die fast 1.000 Kilometer zwischen beiden Städten waren lange Zeit zu lang für einen normalen Fernverkehrszug, deshalb wurde hier ein Nachtzug eingesetzt. Doch dann entschlossen sich die spanische und französische Regierung eine neue Hochgeschwindigkeitsstrecke zu bauen, auf der französische TGV-Schnellzüge bis nach Barcelona durchfahren können. Inzwischen verkehrt zwischen beiden Städten statt des Nachtzugs ein Hochgeschwindigkeitszug. Doch der wird nie einen besonders hohen Marktanteil erreichen. Die Strecke ist einfach zu lang und die Tickets zu teuer. Grund dafür ist auch, dass Schnellzugbetreiber SNCF will, dass die Strecke zwischen Paris und Barcelona enorm profitabel ist, um andere nationale Strecken zu subventionieren. Würde es nachts und tagsüber einen Zug geben, wäre auf dieser Strecke der Marktanteil der Schiene höher, aber SNCF würde weniger Geld verdienen, weil die Kosten für den Nachtzugbetrieb höher wären. Das heißt: SNCF hat die Verbindung allein aus Geschäftsgründen eingestellt.

Warum bietet kein anderes Unternehmen eine Nachtzugverbindung an?

Unternehmen wie Flixtrain aus Deutschland oder Regiojet aus der Tschechischen Republik verfügen nicht über die erforderlichen Züge. Die Lokomotive, die auf den meisten Strecken in Europa eingesetzt werden kann – die Siemens Vectron – ist für Frankreich nicht zugelassen. Und es gibt noch ein weiteres Problem: Die Unternehmen müssten enorm hohe Gebühren zahlen, wenn sie mit ihren Zügen die französischen Bahnhöfe anfahren. In Paris enden Nachtzugfahrten meist im Bahnhof Austerlitz. Ein Halt dort kostet den Betreiber 920 Euro, ein Halt im Berliner Hauptbahnhof kostet 50 Euro. Ein anderer Betreiber als die SNCF kann das wirtschaftlich nicht leisten. 

SNCF muss ebenfalls die hohen Gebühren zahlen.

Ja, aber er kann diese Kosten auf alle Züge verteilen, die er zu allen Pariser Terminals fährt. Bei der Zuweisung von Kapazitäten macht es keinen Sinn, dass die Bahnhöfe, die bereits fast voll sind – Gare du Nord oder Gare de Lyon – für einen Betreiber am günstigsten zu erreichen sind.

Die Deutsche Bahn nannte als Grund für ihren Ausstieg aus dem Nachtzuggeschäft ebenfalls die mangelnde Wirtschaftlichkeit. Lässt sich mit Schlaf- und Liegewagen kein Geld verdienen?

Die Rahmenbedingungen waren andere, als die Deutsche Bahn 2016 ihr Nachtzugangebot einstellte. Damals waren etwa die Gebühren sehr hoch, die ein Bahnunternehmen zahlen musste, um die Infrastruktur in Belgien und Frankreich zu nutzen. In den vergangenen Jahren sind die Trassenpreise gesunken. Dass ein Nachtzugbetrieb auch wirtschaftlich funktionieren kann, zeigt die österreichische Bundesbahn ÖBB. Grund dafür ist übrigens auch, dass das Nachtzugangebot der ÖBB besser und zuverlässiger funktioniert, als das der Deutsche Bahn. Ich bin früher eine Zeit lang mit den DB-Nachtzügen gereist und das war furchtbar. Heute könnte die Deutsche Bahn problemlos ein eigenes Angebot betreiben. Aber ich verstehe, warum sie das nicht tut. Denn ein Nachtzugangebot würde den Profit etwas senken, den die Deutsche Bahn auf den Fernverkehrsverbindungen tagsüber macht.

Sollte sich das Nachtzuggeschäft an Profit oder am Gemeinwohl orientieren? 

Ich bin mir nicht sicher, ob ein Staat oder die EU – im Moment jedenfalls – vorschreiben sollte, welche Nachtzugstrecken sinnvoll sind. Es ist besser, einen Rahmen zu schaffen, in dem Nachtzüge rentabel betrieben werden können und die Betreiber herausfinden, welche Strecken für die Fahrgäste sinnvoll sind. Wenn es dann weitere Strecken gibt, die irgendwie einen zusätzlichen gesellschaftlichen Nutzen haben, sollten wir über ein öffentliches Subventionsmodell für diese Strecken nachdenken.

Ähnliches gilt in Deutschland für den Regionalverkehr, der durch den Staat mitfinanziert wird. Die Deutsche Bahn ist gefangen zwischen zwei Modellen.

Wir haben in Deutschland und auch in Frankreich das schlechteste aus beiden Welten. Es ist nicht möglich, einen Bahnkonzern maximal effizient und profitabel zu betreiben und gleichzeitig den Menschen zu dienen. 

Deutsche Bahn und SNCF sollen zudem mit Absprachen Wettbewerb vermeiden.

Zwischen den großen europäischen Bahnkonzernen gibt es einen Nichtangriffspakt, dazu gehören SNCF und die Deutsche Bahn. So besitzt SNCF mehrere TGV-Züge, die problemlos auf der Strecke zwischen Frankfurt am Main und Berlin eingesetzt werden könnten. Doch genau das tut der französische Bahnkonzern nicht, denn er möchte vermeiden, dass die Deutsche Bahn ICE-Züge auf Strecken innerhalb Frankreichs anbietet. 

Doch andernorts kam es bereits zum Kampf zwischen Bahnkonzernen. Zwischen Frankreich und Italien gibt es nur zwei Bahnverbindungen. Eine davon wird von SNCF betrieben und verbindet Paris und Mailand. Die Strecke war eine Katastrophe, die Fahrtzeit war zu lang und die Anschlussverbindungen miserabel. Die italienischen Behörden haben dem französischen TGV-Zug nie die Zulassung ausgestellt für die italienische Hochgeschwindigkeitsstrecke. Zudem durfte der französische Zug nicht im Mailänder Hauptbahnhof halten, stattdessen musste er den kleineren Bahnhof Porta Garibaldi anfahren. Im Gegenzug bestellten die Italiener Züge, die auch in Frankreich fahren können. Die französischen Behörden brauchten Jahre, um die Züge zuzulassen. Doch es klappte. Das italienische Bahnunternehmen begann also Züge von Italien nach Paris anzubieten. Das wollten sich die Franzosen nicht gefallen lassen. Sie entschlossen sich, in den nationalen italienischen Markt einzusteigen. Sie wollten sich rächen.

Nun soll es ein neues Konzept, der Transeuropexpress 2.0 richten, vorgestellt hat es die deutsche Ratspräsidentschaft im vergangenen Jahr. Ist ein solches Netz europäischer Verbindungen die Lösung?

Nein. Die Pläne der deutschen Regierung machen weder betrieblich noch wirtschaftlich Sinn. Grob gesagt, gilt für Züge die Zwei-, Vier- und Sechs-Regel. Beträgt die Fahrtzeit eines Zuges zwei Stunden konkurriert er mit dem Auto. Beträgt die Fahrtzeit des Zuges vier Stunden, konkurriert er mit dem Auto und dem Flugzeug. Ab einer Fahrtzeit von sechs Stunden nutzt kaum ein Reisender noch die Bahn. Dass der deutsche Verkehrsminister Andreas Scheuer nun mit dem Transeuropexpress 2.0 vorschlägt, Züge von Paris nach Warschau fahren zu lassen, ist Schwachsinn. Und das auch aus einem anderen Grund. Wenn ein solcher TEE-Zug am Morgen zwischen Paris und Brüssel eine Stunde Verspätung einfährt, müssen wartende in Posen warten, obwohl sie nur nach Warschau fahren möchten. 

Die Lösung wäre ein dichtes Netz, in dem einzelne Verbindungen miteinander abgestimmt sind. In Deutschland wird dies nun eingeführt. Der „Deutschlandtakt“ führt dazu, dass lange Bahnverbindungen gestrichen werden. Künftig wird kein Zug mehr von Berlin nach Stuttgart durchfahren. Passagiere müssen dann in Mannheim umsteigen. Falls das nicht klappt, fährt aber der nächste Zug bereits eine halbe Stunde später.

Der TEE-Plan der deutschen Regierung ist das Gegenteil. Er macht keinen Sinn.