Die Geheimnisse des Rats

Wenn Zeitungen und Fernsehsender über die Gesetzgebung in der EU berichten, geht es meist um Debatten im Europäischen Parlament oder um die Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs. Manchmal erwähnen die Medien auch, dass die zuständigen Minister der EU-Mitgliedstaaten sich irgendwie einigen müssen, bevor ein Gesetzentwurf EU-weites Recht werden kann.

Aber die meisten Bürger erfahren nie genau, wer die Personen sind, die jedes Jahr die Absätze in Hunderten von Gesetzen aushandeln, die unser aller Leben bestimmen, und wer von ihnen welchen Position dabei vertritt. Das ist kein Zufall. Tatsache ist, dass der Großteil der Gesetzgebung der Europäischen Union unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet – hinter verschlossenen Türen.

von Reporters United

Doch schuld daran sind nicht die oft gescholtenen Bürokraten der EU-Kommission oder die Mitglieder des Europäischen Parlaments. Vielmehr sind die nationalen Regierungen der 27 EU-Mitgliedstaaten verantwortlich. Sie kontrollieren das zentrale Gesetzgebungsorgan der EU – den Rat der Europäischen Union. Dort verhandeln in mehr als 150 Ausschüssen und im „Ausschuss der Ständigen Vertreter“ Beamte, die von ihren nationalen Ministerien entsandt werden, darüber, was ihre jeweiligen Regierungen zu den Gesetzesvorschlägen der EU-Kommission zu sagen haben. Das ist der zentrale Gesetzgebungsprozess, den die Regierungen systematisch geheim halten. In der Folge erfahren die EU-Bürger fast nie, was ihre Regierungen in Brüssel tatsächlich tun.

Emily O’Reilly, die EU-Bürgerbeauftragte, die im Dezember 2020 vom Parlament wiedergewählt wurde, fand klare Worte für dieses System: „Es ist für die Bürger fast unmöglich, die Debatten über die Gesetzgebung zwischen nationalen Regierungsvertretern im Rat zu verfolgen“, sagte sie und kam zu dem Schluss: „Die Praktiken, die die Prüfung von EU-Gesetzentwürfen behindern, untergraben das Recht der Bürger, ihre gewählten Vertreter zur Rechenschaft zu ziehen.“ Mit anderen Worten: Die EU-Gesetzgeber verstoßen permanent gegen ein zentrales demokratisches Prinzip, nämlich das der Transparenz in der Gesetzgebung. Damit erzeugen sie selbst das Misstrauen, das viele Bürgerinnen und Bürger gegenüber der Europäischen Union hegen und viele Wähler zu nationalistischen Rechtspopulisten treibt.

Die Geheimhaltung macht den Rat auch besonders anfällig für den Einfluss von Lobbyisten. Schließlich bedeaf es nur einer sogenannten Sperrminorität von 14 Regierungen oder 35 Prozent der vertretenen Bevölkerung, um ein Gesetz zu blockieren oder abzuschwächen. Dafür reicht es aus, die Regierung eines der großen Mitgliedstaaten zu gewinnen, die dann wiederum einige der kleineren EU-Staaten gefügig macht, indem sie ihnen dafür in anderen Bereichen Angebote macht. Diese geheime Lobbymacht hat in den letzten zehn Jahren weit über hundert wichtige Reformen wie die Einführung einer Umsatzsteuer auf Spekulationen mit Wertpapieren oder die Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der neuen digitalen Wirtschaftswelt zum Scheitern gebracht, ohne dass die Öffentlichkeit überhaupt davon erfuhr.

Deshalb wird das Team „Investigate Europe“ in Zukunft die Arbeit des Rates genau verfolgen und – wann immer möglich – darüber berichten, welche Regierung Gesetzesvorhaben blockiert oder verwässert und mit wem sie dabei zusammenarbeitet.

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Veröffentlichungen