Die erste Lektion der Krise: Wir sind gleicher, als wir denken

17. März 2020

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Paulo Pena || ""
Paulo Pena
Während die Bedrohung durch Covid-19 in allen europäischen Großstädten zu menschenleeren Straßen geführt hat, haben in Portugal und Griechenland die ersten Frühlingsanzeichen Leute an die Strände gelockt. In Norwegen wiederum haben sich Menschen an diesem Wochenende zu ihren Ferienhäuser in den Bergen aufgemacht. In diesem Artikel beschreibt Paulo Pena, wie diese ersten Wochen der Quarantäne gezeigt haben, dass wir gleicher sind, als wir vielleicht denken mögen.
An dem Tag, an dem die WHO Covid-19 zur Pandemie erklärte, war der Strand von Carcavelos, zwanzig Autominuten von der portugiesischen Hauptstadt entfernt, voll mit Menschen. In Griechenland füllten sich die Strände am Wochenende. Und in Norwegen drohte die Regierung damit, die Armee zum Räumen der Berghütten – noch ein beliebter Ort für Wochenendausflüge – einsetzen.

Die Straßen in der Stadt, in Lissabon, Athen und Oslo, sind leerer. Es spielt keine Rolle, ob die vorherrschende Religion im Land der Katholizismus, das orthodoxe Christentum oder der Protestantismus ist. Es spielt keine Rolle, ob Westen, Osten, Süden oder Norden. Ob das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf niedrig oder hoch ist. Die Bedrohung durch eine Krankheit hat uns alle gleichermaßen in eine beispiellose soziale Isolation gezwungen.

Wir gewöhnen uns langsam an das Leben wie in einer Zeit des Krieges, so wie es Italien bereits getan hat. In Piacenza, einer Stadt in Norditalien, starben allein am Samstag, dem 14. März, 24 Menschen an den Folgen von Covid-19.
Aber die Angst breitet sich noch schneller aus als das Virus. Viele Länder haben ihre Grenzen geschlossen, und diejenigen, die das noch nicht getan haben, werden von anderen, die glauben, dass die Pandemie so kontrolliert werden kann, dazu gedrängt.

Fast alle europäischen Staaten haben beschlossen, den Unterricht in den Schulen auszusetzen und raten zur freiwilligen Selbstisolation. In vielen sind Cafés, Bars und Restaurants, Friseure und Einkaufszentren geschlossen. In Lissabon sind in den Schaufenstern von Bäckereien XX (tidy) Kuchen und leere Tische zu sehen. Auf den Straßen sind Spaziergänger mit Masken und zunehmend auch mit Handschuhen unterwegs. Manche Menschen gehen raus, um Sport zu machen. Es gibt diejenigen, die in den Supermarkt gehen (und in die Apotheken, mit ihren neuen, geordneten Warteschlangen und einem Abstand von einem Meter zwischen jedem Kunden). Und es gibt diejenigen, die in den Supermarkt gehen (und in die Apotheken, mit ihren neuen geordneten Warteschlangen und einem Abstand von einem Meter zwischen jedem Kunden). Und es gibt diejenigen, die sich entscheiden, gar nicht die Wohnung zu verlassen.

Dieser neue Normalzustand hat sich in kurzer Zeit etabliert. Doch am Mittwochnachmittag (11. März), als viele bereits in Selbstisolation waren, löste eine Nachricht Empörung aus: Die Strände in der Nähe von Lissabon waren voll. Da das Thermometer mitten im Winter sommerliche Temperaturen anzeigte und eine ungewisse Zukunft vor ihnen lag, hatten Tausende von Menschen beschlossen, sich zu sonnen und in den Atlantik zu springen.

Das sorgte für Aufregung in sozialen Netzwerken und führte zu dem Vorwurf mangelnder sozialer Verantwortung. Auf Bildern waren der überfüllte Strand von Carcavelos zu sehen, daneben als Kontrast der leere Markusplatz in Venedig und die in solchen Situationen übliche Bemerkung: “Only in this country…”

Aber nicht nur in Portugal wurden amtliche Ratschläge nicht befolgt.

Am Samstag, dem 14. März, nur wenige Tage, nachdem die griechische Regierung Bars, Restaurants, Cafeterias und Einkaufszentren geschlossen hatte, füllten Tausende Athener die Strände unter der einladenden Sonne über der Ägäis. An einem gebührenpflichtigen Strand südlich von Athen, Asteras Vouliagmeni, mussten Sicherheitsleute eine Gruppe von Leuten auflösen, die versuchte, hineinzugelangen und dabei gegen Vorschriften zur zulässigen Menschendichte verstieß.

Die sozialen Netzwerke in Griechenland füllten sich mit den gleichen Vorwürfen wie die in Portugal. Und der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis (politisch Mitte-rechts) sagte dasselbe wie der portugiesische Gesundheitsminister (politisch Mitte-links); er twitterte: “Ich habe gerade darum gebeten, dass alle Strände und Skigebiete morgen geschlossen werden. Die Situation ist ernst und verlangt von allen die Übernahme von Verantwortung. Wir sollten öffentliche Orte mit vielen Menschen meiden. Zeigen wir uns der Situation gewachsen. #BleibenSieZuHause”.

Die Situation in Norwegen ist ähnlich. Man blicke nur auf die Schlagzeile auf der Titelseite der Sonntagsausgabe von Aftenposten, der größten Zeitung in Oslo: “Die Regierung verbietet es Menschen, auf Hütten außerhalb ihrer eigenen Gemeinden zu fahren”. Diese Entscheidung wurde getroffen, nachdem die gleiche Stimmung wie in Athen und Lissabon entstanden war. Nachdem die Bestimmungen für eine präventiven Quarantäne in Kraft getreten waren, beschlossen viele Norweger, die Städte zu verlassen und in die Berge zu gehen. Dort haben viele von ihnen Ferienhäuser. Sofort begannen Menschen in sozialen Netzwerken, diesen Leute Vorwürfe zu machen. Von einer “Hüttenscham” (auf Norwegisch: hytteskam) war die Rede.
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In einer Gruppe von Gemeinden in den Bergen mit normalerweise 21 000 Einwohnern hat sich die Anzahl der Bevölkerung bis Freitagabend fast verdreifacht auf 55 000. In einer dieser Gemeinden wurden am Wochenende zwei Coronavirus-Fälle gemeldet, beides Menschen in Ferienhütten. Die Behörden begannen, SIM-Karten von Mobiltelefonen zu orten, um die Personen zu ermitteln, die die Quarantäne nicht eingehalten und die Städte verlassen haben.

“Unseres Notfallsystem wird völlig zusammenbrechen, wenn Corona hier ausbricht”, sagte der Bürgermeister einer Berggemeinde. “Sie dachten vielleicht ‘Ich wollte einfach nur Zeit in meiner Hütte verbringen’. Aber wenn Sie Pech haben und sich am Küchenmesser schneiden oder sich den Arm brechen, wird einer unserer Ärzte seine Zeit damit verbringen müssen, Ihnen zu helfen”, so der oberste Gesundheitsbeamte der Küstengemeinde Hjelmeland. Mehr als die Hälfte der Menschen, die am Samstag einen Rettungswagen gerufen haben, waren Leute aus den Städten, die auf ihre Hütten gefahren sind.

Wie schon zuvor zeigten Nutzer in sozialen Netzwerken mit dem Finger, diesmal mit ein wenig nordischem XXXX (phlegm): “Sie erwägen also, die Armee zu entsenden, um Menschen nach Hause zu schicken. Diese Idioten sollten ihre Hütten niederbrennen lassen, nachdem sie weggegangen sind. #hüttenscham #coronavirus #egoisten”.

Dies könnte eine der ersten Lektionen sein, die die erzwungene Covid-19-Quarantäne lehrt, und es wäre eine gute Lektion. Eine, die den Überzeugungen von Rassisten und Nationalisten widerspricht: In unseren einmaligen Tugenden und in unseren angeborenen Unzulänglichkeiten sind wir uns mehr ähnlich als verschieden, sei es beim Sonnenbaden am Strand der Ägäis oder beim Wandern an einem norwegischen Fjord.

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