Explainer: Wie der Energiecharta-Vertrag funktioniert

Credit: Alexia Barakou

Die Energiecharta deckt die Bereiche Energietransit, -handel und -effizienz ab. Sie kann unter anderem auf Kohle-, Öl-, Gas- und Nuklearprojekte angewendet. Unterzeichnet wurde die Energiecharta von mehr als 50 Staaten sowie von der EU und der Europäischen Atomenergiegemeinschaft. Russland hat den Vertrag zwar unterschrieben, aber nicht ratifiziert und wurde dennoch bisher in sechs Fällen verklagt. Italien hat den ECT im Jahr 2016 verlassen.

Der ECT entstand in den 1990er Jahren – nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion – und sollte westlichen Unternehmen Schutz bieten, die in Energieinitiativen in ehemaligen Sowjetstaaten investierten. Viele dieser ehemaligen Sowjetrepubliken, ehemals hinter dem Eisernen Vorhang, galten als riskant für potenzielle Investoren, und so wurde der ECT 1994 unterzeichnet und trat vier Jahre später in Kraft. Heute ist der Anreiz für Staaten, dem ECT beizutreten, trotz der Drohung, verklagt zu werden, die Hoffnung, dass dies ausländische Investitionen anzieht.

Die Arbeit des ECT wird von seinem Verwaltungsorgan, dem Sekretariat der Energiecharta, geleitet, während die gesamte Leitung und Entscheidungsfindung von der Energiechartakonferenz übernommen wird, der alle Mitgliedsstaaten angehören. Das Sekretariat hat seinen Sitz in Brüssel, und sein derzeitiger Leiter ist der slowakische Energieexperte Urban Rusnák, der diese Position seit 2012 innehat.

Weitreichende Konsequenzen

Obwohl es sich um ein wenig bekanntes Abkommen handelt, hat der ECT das Potenzial, darüber zu entscheiden, ob es der EU und ihren Mitgliedsstaaten gelingen wird, ihre ehrgeizigen Klimaziele zu erreichen.

Unter dem ECT können Investoren und Energieunternehmen eines Staates andere Mitgliedsstaaten verklagen, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen, sei es, wenn das Land versucht, aus fossilen Brennstoffen auszusteigen, umstrittene Öl- oder Gaspipelines zu streichen, die Nutzung der Kernenergie einzuschränken oder auf niedrigere Strompreise zu drängen. Da immer mehr EU-Staaten – dank des zunehmenden Drucks durch ihre Klimaziele – aus fossilen Brennstoffen aussteigen, können sich die Betreiber von Kohlekraftwerken und Gasinfrastruktur auf den ECT berufen, um Staaten zu verklagen. Ihre Ansprüche, die nicht nur eine Entschädigung für bereits getätigte Investitionen, sondern auch für entgangene zukünftige Gewinne beinhalten, könnten sich auf Milliarden Euro belaufen.

Internationale Schiedsgerichtsbarkeit

Der ECT sieht ein Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren (ISDS) vor, um Streitigkeiten zwischen einem ausländischen Unternehmen und einem Staat zu lösen. ISDS ist ein System rechtlicher Mechanismen, das ausländischen Investoren Schutz vor Enteignung (z. B. wenn eine Regierung Privateigentum übernimmt) und diskriminierender Behandlung in Ländern bieten soll, die als riskante Orte für Investitionen angesehen werden könnten.

Die Geschichte von ISDS ist älter als die des ECT. Es wurde Mitte des 20. Jahrhunderts eingeführt, um das Vermögen ehemaliger Kolonialherren in neu unabhängigen Staaten zu schützen. Damals argumentierten Investoren, dass ein solches internationales Schiedsgerichtssystem notwendig sei, weil die Justizsysteme in den neuen unabhängigen Staaten keinen fairen Prozess garantieren würden. So erhielten Unternehmen das Recht, vor einem internationalen Tribunal zu klagen, um ihre Rechtsstreitigkeiten mit Staaten beizulegen. Innerhalb des ISDS-Rahmens ist der ECT eines der meistgenutzten Rechtsinstrumente.

Der ECT erlaubt es ausländischen Investoren, zwischen einem Ad-hoc- und einem institutionellen Schiedsverfahren zu wählen. Letzteres wird von einer spezialisierten Institution nach ihren eigenen Regeln durchgeführt – zum Beispiel dem International Centre for Settlement of Investment Disputes (unter der Weltbank) oder dem Arbitration Institute der Stockholmer Handelskammer. Falls es kein institutionelles Schiedsverfahren gibt, müssen die Parteien die Regeln der Kommission der Vereinten Nationen für internationales Handelsrecht (UNICTRAL – ein UN-Gremium) anwenden.

Üblicherweise nehmen sowohl der Investor als auch der Staat an der Auswahl des Schiedsgerichts teil, das aus drei Schiedsrichtern besteht. Einer wird vom Kläger ernannt, der andere vom Staat, und der dritte – der Präsident des Schiedsgerichts – wird von den beiden anderen Schiedsrichtern oder den beiden Streitparteien benannt.

Die in diesen Prozessen zugesprochenen Geldbeträge sind hoch und haben sich mit der Zeit nur erhöht, so ein Bericht des International Institute for Sustainable Development (IISD), einer unabhängigen Denkfabrik, deren Ziel die Förderung und ökologische Nachhaltigkeit ist. Unter dem ECT beträgt die bisher größte Entschädigungssumme 50 Milliarden Dollar, die im Fall Yukos gegen Russland zugesprochen wurde.

„Der ECT bietet, wie jeder andere Investitionsvertrag, eine Reihe von grundlegenden Schutzmaßnahmen für Investoren“, sagt Sarah Brewin, Beraterin für internationales Recht beim IISD. „Er verlangt, dass der Staat Investoren entschädigt, wenn sie diese Verpflichtungen verletzen, um ihre Versprechen, die im Vertrag festgelegt sind, zu erfüllen. Aber Verträge sagen typischerweise nicht, wie ein Gericht vorgehen soll, um den Betrag zu bestimmen, der entschädigt wird.“ Wenn es um Entschädigung geht, fügt Brewin hinzu, sind die Schiedsrichter „relativ frei, die Prinzipien zu entwickeln, von denen sie denken, dass sie gelten sollten“.

Ein Beispiel für ein laufendes Verfahren ist die Klage des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall gegen Deutschland. Weil das Unternehmen zwei Atomkraftwerke in Deutschland abschalten musste, fordert es vom deutschen Staat eine Entschädigung in Höhe von 6,1 Milliarden Euro. Das Urteil wird im Mai 2021 erwartet.

Bis Dezember 2020 wurden laut Energy Charter Dirty Secrets 60 Prozent der entschiedenen Rechtsstreitigkeiten zugunsten des Investors entschieden.

Lukrativ für einige

Angelockt durch die Möglichkeit, Ansprüche in Millionen- (und sogar Milliarden-) Höhe geltend zu machen, ist eine Schiedsgerichtsindustrie entstanden, und die Zahl der bekannten ECT-Fälle ist in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen. Die Vertretung für einen einzigen Fall kann die Parteien bis zu Millionen Euro an Anwaltskosten kosten.

Doch nicht nur die derzeitigen Unterzeichner des Vertrages sind dem Klagerisiko von Unternehmen ausgesetzt. Selbst wenn sich ein Staat dafür entscheidet, den Energiecharta-Vertrag zu verlassen, können Investoren ihn noch 20 Jahre lang verklagen.

Da die Staaten mit teuren Klagen konfrontiert sind, wenn sie versuchen, klimafreundlicher zu werden, hat die Europäische Union angedeutet, dass sie den ECT gerne modernisieren würde, bisher jedoch ohne Ergebnis. Jede Änderung muss einstimmig von allen Mitgliedsstaaten des Vertrages beschlossen werden, aber einige einzelne Länder – wie das kohlefreundliche Japan – haben bereits angedeutet, dass sie Modernisierungsreformen nicht zustimmen werden.

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