Explainer: Energiecharta-Klagen gegen Klimagesetze

Credit: Alexia Barakou

Dass die Investoren auf Grundlage solch grober Formulierungen auf Entschädigung klagen können, dürfte in den kommenden Jahren zu vielen Verfahren gegen Klimagesetze der EU und der Mitgliedsstaaten führen. Denn im Abkommen von Paris und dem Green New Deal haben die Regierungen sich dazu verpflichtet, strenge Klimaziele einzuhalten. Um diese auch zu erreichen, müssen sie in den kommenden Jahren aus fossilen Energieträgern aussteigen wie Kohle oder Gas. Gegen solche Beschlüsse können Energie-Konzerne klagen. Das ist kein fernes Szenario. Investoren haben bereits damit begonnen Staaten zu drohen oder zu verklagen. Diese Fälle sind bisher bekannt:

Rockhopper v. Italien

Im Sommer 2014 erwarb die britische Firma Rockhopper die Lizenz für eines der größten Öl-Felder des Mittelmeers, die Ombrina Mare. Dort nur wenige Kilometer vor der mittelitalienischen Adria-Küsten sollen 166 Millionen Barrel Öl lagern. Die wollte Rockhopper aus dem Boden holen und plante bereits den Bau einer Bohrplattform. Doch daraus sollte nichts werden. Denn je konkreter Rockhoppers Pläne worden, desto mehr begehrten Bürger vor Ort auf. In Protestmärschen forderten sie das Ende des Bohrprojekts. Die italienische Regierung sah sich unter Zugzwang. Um einem Referendum zuvorzukommen, verbot das Parlament Ende 2015 schließlich das Fördern von Öl und Gas in Küstennähe.

Dagegen klagte Rockhopper vor dem Washingtoner ICSID-Schiedsgericht. In dem Verfahren fordert der britische Konzern laut seinem Geschäftsführer Sam Moody nicht nur die etwa 38 Millionen Euro, die es in die Erschließung des Feldes investiert hatte. Stattdessen erwartet Moody auch für entgangene künftige Gewinne entschädigt zu werden. „Idealerweise erhalten wir den Betrag, den wir eingenommen hätten, wenn dir Feld entwickelt hätten“, sagte Moody auf einer Investorenkonferenz. Laut Italiens Anwalt Giacomo Aiello fordert Rockhopper etwa 225 Millionen Euro. Im Gespräch mit Investigate Europe warnte Aiello vor den Konsequenzen, die ein Sieg des britischen Investors vor dem Schiedsgericht haben könnte: „Eine Niederlage in diesem Schiedsverfahren wäre sehr gefährlich. Sie würde andere Konzerne, deren Förderprojekte vom Staat verboten wurden, ermutigen Rockhopper nachzueifern.“. Die Schiedsrichter wollten ihr Urteil im Frühjahr 2021 verkünden.

Ascent v. Slowenien

Um nahe der slowenisch-kroatischen Grenze Gas aus dem Schiefergestein zu fördern, sind unkonventionelle Methoden wie Fracking notwendig. Das ist zwar umstritten, aber in Slowenien noch erlaubt. Deshalb investierte der britische Energie-Konzern Ascent nach eigenen Angaben 50 Millionen Euro, um auf einem der Gasfelder in der Grenzregion zwei Bohrlöcher vorzubereiten. Bevor diese In Betrieb genommen werden konnten, verlangte der slowenische Staat im Frühjahr 2019 ein Umweltgutachten. Auf diese Forderung reagierten die Briten empört. Sie teilten mit, dass sie vor das slowenische Verwaltungsgericht ziehen werden. Dort urteilten die Richter, dass es rechtens sei, vor dem Fracking noch einmal dessen Umweltauswirkungen zu analysieren.

Doch Ascent war nicht zufrieden. Im Juli 2020 ließ der Konzern über eine Anwaltskanzlei eine Mitteilung an die slowenische Regierung schicken. Darin heißt es, der slowenische Staat habe gegen die Energiecharta verstoßen. Ascent behalte sich das Recht vor, eine Klage vor einem internationalen Schiedsgericht einzureichen. Ein solcher Brief ist notwendig, um ein Schiedsverfahren zu beginnen. Doch Ascent zeigt auch eine andere Möglichkeit auf. So Zeit das Unternehmen bereit zu verhandeln, und „hoffe, dass eine gütliche Lösung für den gegenwärtigen Streit gefunden werden kann“. Wenige Monate später, im Oktober 2020, teilte Ascent mit, dass der Konzern direkte Verhandlungen mit der slowenischen Regierung begonnen habe. In der Mitteilung heißt es auch: „The negotiations shall not prejudice the Company’s rights to pursue its investment treaty claim.” Die Drohung einer Energiecharta-Vertragsklage nützt dem Konzern offenbar dabei, eine hohe Entschädigung einzutreiben.

Uniper v. Niederlande

Im Dezember 2019 beschlossen die Niederlande den Kohleausstieg. Der sieht vor, dass Energie-Konzerne ihre Kohlekraftwerke ab 2030 vom Netz nehmen oder umrüsten müssen. Dagegen hatte schon Monate zuvor das deutsche Unternehmen Uniper gepoltert. Denn Uniper hatte erst 2016 in den Niederlanden ein Kraftwerk in Betrieb genommen, Maasvlakte 3. Nach eigenen Angaben investierte der Konzern 1,6 Milliarden Euro. Geld, dass er zumindest teilweise von den Niederlanden zurückfordern werde, sagte Uniper-Manager Hans Schoenmakers dem „Telegraaf“ bereits im September. Der Konzern beauftragte die Kanzlei Allen & Overy eine Klage gegen die Niederlande vorzubereiten und ließ dies öffentlichkeitswirksam in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ verkünden.

Kurz nachdem der Kohleausstieg beschlossen wurde, schickte Uniper der niederländischen Regierung einen Brief. Darin schrieb der Konzern, dass er eine “amicable settlement” wolle. Sollte dies nicht gelingen, werde Uniper vor ein Schiedsgericht ziehen. Ein Brief, wie ihn Uniper geschickt hat, ist Bedingung für eine Energiecharta-Klage. Denn der Vertrag sieht eine Übergangsphase vor, in der Investor und Staat versuchen, eine einvernehmliche Lösung zu finden. Während Unipers Jahreshauptversammlung im Mai 2020 sagte Konzernchef Andreas Schierenbeck: „Wir behalten uns rechtliche Möglichkeiten vor, um die Interessen der Aktionäre durchzusetzen. Wir glauben, dass der [niederländische] Kohleausstieg in seiner jetzigen Form nicht angemessen ist.“ Bisher hat Uniper keine Klage gegen die Niederlande vor einem Schiedsgericht eingereicht.

RWE v. Niederlande

Auch ein weiterer deutscher Stromkonzern ist von dem niederländischen Kohleausstieg betroffen. RWE betreibt in den Niederlanden unter anderem das Kraftwerk Eemshaven. Der Konzern nennt das Gesetz „eine Form von Enteignung“. „Die Regierung wollte diese Kohlekraftwerke, wir haben die Genehmigungen für sie, also haben wir das Recht Kohle zu nutzen“, teilte der Konzern dem „Volkskrant“ mit. Für das Kraftwerk Eemshaven beträgt der Schaden laut Unternehmensangaben zwei Milliarden Euro.

Die niederländische Regierung bot dem Energiekonzern eine Entschädigung von 328.000 Euro pro Megawatt an. Für das Kraftwerk Eemshaven wären das rund 500 Millionen Euro gewesen. Doch RWE lehnte ab. Stattdessen reichte das Unternehmen Anfang Februar dieses Jahres Klage gegen die Niederlande vor dem Washingtoner ICSID-Schiedsgericht ein. Die Klageschrift ist zwar nicht bekannt, aber des niederländischen Wirtschaftsminister Bas van ‚t Wout fordert RWE nun eine Entschädigung in Höhe von 1,4 Milliarden Euro.