Die Geheimnisse des Rats

Wenn Zeitungen und Fernsehsender über die Gesetzgebung in der EU berichten, geht es meist um Debatten im Europäischen Parlament oder um die Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs. Manchmal erwähnen die Medien auch, dass die zuständigen Minister der EU-Mitgliedstaaten sich irgendwie einigen müssen, bevor ein Gesetzentwurf EU-weites Recht werden kann.

Aber die meisten Bürger erfahren nie genau, wer die Personen sind, die jedes Jahr die Absätze in Hunderten von Gesetzen aushandeln, die unser aller Leben bestimmen, und wer von ihnen welchen Position dabei vertritt. Das ist kein Zufall. Tatsache ist, dass der Großteil der Gesetzgebung der Europäischen Union unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet – hinter verschlossenen Türen.

Es sind nicht die oft gescholtenen Bürokraten der EU-Kommission oder die Mitglieder des Europäischen Parlaments, die daran schuld sind. Vielmehr sind die nationalen Regierungen der 27 EU-Mitgliedstaaten verantwortlich (Großbritannien ist nur noch selten dabei). Sie sind diejenigen, die das zentrale Gesetzgebungsorgan der EU – den Rat der Europäischen Union – kontrollieren. Dort verhandeln in mehr als 150 Ausschüssen und im „Ausschuss der Ständigen Vertreter“ Beamte, die von ihren nationalen Ministerien entsandt werden, darüber, was ihre jeweiligen Regierungen zu den Gesetzesvorschlägen der EU-Kommission zu sagen haben. Das ist der zentrale Gesetzgebungsprozess, den die Regierungen systematisch geheim halten, um sicherzustellen, dass die Bürger nicht wissen, was ihre Regierungen in Brüssel tatsächlich tun.

Emily O’Reilly, die EU-Bürgerbeauftragte, die im Dezember vom Parlament wiedergewählt wurde, fand klare Worte für dieses System: „Es ist für die Bürger fast unmöglich, die Debatten über die Gesetzgebung zwischen nationalen Regierungsvertretern im Rat zu verfolgen“, sagte sie und kam zu dem Schluss: „Die Praktiken, die die Prüfung von EU-Gesetzentwürfen behindern, untergraben das Recht der Bürger, ihre gewählten Vertreter zur Rechenschaft zu ziehen.“ Mit anderen Worten: Die EU-Gesetzgeber verstoßen permanent gegen ein zentrales demokratisches Prinzip, nämlich das der transparenten Gesetzgebung. Damit erzeugen sie selbst das Misstrauen, das viele Bürgerinnen und Bürger gegenüber der Europäischen Union hegen und das Wähler zu nationalistischen Rechtspopulisten treibt.

Die Geheimhaltung macht den Rat auch besonders anfällig für den Einfluss von Lobbyisten. Schließlich reicht schon eine sogenannte Sperrminorität aus, um ein Gesetz zu blockieren oder abzuschwächen. Dafür reicht es aus, die Regierung eines der großen Mitgliedstaaten zu gewinnen, die dann wiederum einige der kleineren EU-Staaten gefügig macht, indem sie ihnen dafür in anderen Bereichen was anbietet. Diese geheime Lobbymacht hat in den letzten zehn Jahren weit über hundert wichtige Reformen wie die Einführung einer Umsatzsteuer auf Spekulationen mit Wertpapieren oder die Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der neuen digitalen Wirtschaftswelt zum Scheitern gebracht, ohne dass die Öffentlichkeit überhaupt davon erfuhr.

Deshalb wird das Team „Investigate Europe“ in Zukunft die Arbeit des Rates genau verfolgen und – wann immer möglich – darüber berichten, welche Regierung Gesetzesvorhaben blockiert oder verwässert und mit wem sie dabei zusammenarbeitet.

Der Anfang

Warum geht es zum Beispiel beim Gesetz zum sogenannten Country-by-Country-Reporting nicht voran? Es soll multinationale Unternehmen verpflichten, öffentlich darüber zu berichten, wie viel Einnahmen sie erzielen und wie viel Steuern sie in welchem Land zahlen. Wenn dem so wäre, würden alle Tricks, die sie anwenden, um Steuern zu vermeiden, automatisch sichtbar, und die politischen Entscheidungsträger müssten hier viel mehr tun. Das wäre schlicht und ergreifend vernünftig, doch das Gesetz steckt seit fast vier Jahren im Rat fest. Es ist hinlänglich bekannt, dass die deutsche Regierung die Blockade anführt, aber welche Regierungen helfen dabei? Unser Kollege Paulo Pena ist dieser Frage nachgegangen und hat einige überraschende Antworten gefunden, die Sie hier auf Englisch nachlesen können.