Der Streit um die Corona-Bonds geht in die Irre

Tansy E. Hoskins
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Den Eurostaaten und mit ihnen ganz Europa droht wegen des Stillstands zur Virusabwehr die schwerste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg. Aber inmitten des Ringens um eine gemeinsame europäische Gegenstrategie forderte der Niederländer, die EU-Kommission solle erst mal untersuchen, warum manche Länder besser mit den Corona-Folgen klar kämen als andere. Das war, schrieb die Tageszeitung „De Volkskrant“, „als ob er dem Süden [Europas] den Stinkefinger gezeigt hätte“; und genauso hatte es Costa wohl auch verstanden.

Die Episode illustriert, mit welcher Härte Europas Regierungen dieser Tage um die richtige Antwort auf die drohende Wirtschaftskatastrophe kämpfen, die dem medizinischen Notstand folgen wird, wenn dieser wie befürchtet lange anhält. Die Streitfront scheint allzu vertraut: Auf der einen Seite fordern die Regierenden der hart getroffenen Länder Italien und Spanien, dass die Eurozone gemeinsam einen Krisenfonds auflegt, aus dem die Gesundheitsversorgung und Konjunkturprogramme dort finanziert werden, wo der größte Bedarf ist. Das Geld dafür soll aus eigens aufgelegten gemeinsamen Anleihen kommen, Corona-Bonds genannt. Das soll verhindern, dass die höher verschuldeten Länder am Kapitalmarkt mit höheren Zinsen zusätzlich belastet und so am Wiederaufbau gehindert werden.

Die Deutschen dagegen, und mit ihnen  ihre Unterstützer aus Holland, Finnland und Österreich weisen die Forderung strikt zurück, weil sie die Vergemeinschaftung von Staatsschulden grundsätzlich ablehnen. „Die Notwendigkeit, solche neuen Instrumente zu erfinden, gibt es im Augenblick nicht“, erklärte Bundesfinanzminister Olaf Scholz. „Die Solidarität innerhalb Europas“ lasse sich auch über Kredite herstellen, wie sie die Euroländer auch bisher schon mit ihrem „Europäischen Stabilitätsmechanismus“ (ESM) an bedürftige Länder vergeben haben.

Das klingt, als ginge es nur um eine Fortsetzung der alten Krisenschlacht in Euroland, während der die überschuldeten Länder mit Notkrediten bei harten Sparauflagen über Wasser gehalten wurden. Aber diese Position verkennt die dramatische Lage. Längst ist absehbar, dass die Rezession infolge des erzwungenen Stillstands weit mehr Mittel erfordert, als über den ESM bereit stehen. Die Krisenbank der Eurostaaten mit dem sperrigen Namen kann an einzelne Mitgliedsländer Kredite in Höhe von bis zu zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung zu niedrigen Zinsen vergeben, insgesamt 240 Milliarden Euro. Gebraucht wird aber aller Voraussicht nach ein Vielfaches dieser Summe.

Deutschlands Wirtschaftsweise erwarten selbst nach nur sieben Wochen Stillstand schon einen Einbruch von rund fünf Prozent. Sollte sich der jetzige Zustand jedoch drei Monate hinziehen, könnte sich das auf bis zu 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausweiten, kalkulierte das deutsche ifo-Institut. In vielen anderen EU-Staaten wird es mangels Reserven eher schlimmer.  Kommt es dazu, dann werden weit über eine Billion Euro gebraucht, um den Kollaps zu verhindern.

Zudem hat der ESM einen grundsätzlichen Mangel: Er kann seine Mittel nur als Kredit ausreichen, mit denen die jeweilige nationale Schuldenlast wächst. Nach dem Ende der Epidemie würde das die höher verschuldeten Länder erneut ausbremsen und die Eurozone würde den gleichen Fehler wiederholen, der Europa auch schon 2012 in eine zweite Rezession nach dem Crash von 2008 getrieben hat. Für die Regierungen Italiens und Spaniens sind ESM-Kredite darum ein giftiges Angebot, das sie rundheraus ablehnen.

Diese bedrohliche Konstellation hat sowohl unter Ökonomen und Wirtschaftsinstitutionen als auch unter den Eurostaaten eine einzigartige Allianz gestiftet. Über alle ideologischen Lager hinweg appellierten Fachleute aus aller Welt an die EU-Regierungen, ihren alten Streit aufzugeben und umgehend ein gemeinsames Schuldeninstrument aufzulegen, um die heraufziehende wirtschaftliche Katastrophe in Europa doch noch abzuwenden, darunter auch die Chef-Ökonomin der OECD, Laurence Boon und die Chefin der EZB, Christine Lagarde.

Gleichzeitig versicherte  der EZB-Vorstand, notfalls auch ohne die bisher geltenden Limits die Staatsanleihen der Euroländer zu kaufen. Im Notfall liefe das aber darauf hinaus, dass die EZB de facto so wie die US-Zentralbank Federal Reserve eine direkte Staatsfinanzierung betreiben und ihr Statut brechen würde. Zudem käme die Intervention vermutlich zu spät, um große Schäden wie eine Welle von Unternehmenspleiten abzuwenden.

Darum gilt es, die Rettung der Eurozone nicht wieder der EZB zu überlassen. In Deutschland taten sich dafür so unterschiedliche Ökonomen wie Michael Hüther, der Chef des Wirtschaftsinstituts der Arbeitgeber, der sonst eher marktliberale ifo-Direktor Clemens Fuest und der Leiter des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie, Sebastian Dullien mit dem Bonner Finanzmarkt-Experten Moritz Schularick und weiteren prominenten Kollegen zusammen und forderten, „die Länder der Eurozone sollten begrenzt auf diese Krise Gemeinschaftsanleihen in Höhe von 1000 Milliarden Euro emittieren“, entsprechend rund acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Eurozone.

Geeint kann sich die Währungsunion das problemlos leisten. Die Staatsverschuldung der Eurozone beträgt nur 90 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, während die USA, China und Japan weit darüber liegen. Entscheidend sei, „jetzt die Bereitschaft zum gemeinsamen Handeln klar zu signalisieren“, um bei Unternehmen und Anlegern die Erwartung zu steuern, dass der Aufschwung nach der Epidemie machbar ist, erklärt Schularick.  Natürlich könne es sein, dass Deutschland am Ende mehr in den Fonds einzahlen müsse, als es erhalte, so wie es jetzt auch bei der EU-Regionalförderung laufe. Aber nur so lasse sich die drohende Spaltung der Eurozone aufhalten.

Wie groß diese Gefahr ist, zeigt sich schon jetzt an den nationalen Krisenprogrammen. Alle Garantien mit eingerechnet, stellte die Bundesregierung, ähnlich wie die US-Regierung, eine Summe in Höhe von 32 Prozent der Wirtschaftsleistung in Aussicht, um keine Zweifel an ihrer Handlungsfähigkeit aufkommen zu lassen. Die Regierungen in Rom und Madrid dagegen haben bisher aus Furcht vor dem möglichen Zinsschock lediglich Mittel von zehn Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts zur Krisenbekämpfung bereitgestellt. „Was in Deutschland richtig ist, sollten wir auch den anderen Euroländern ermöglichen“, fordert Schularick darum. Gleichzeitig versichern er und seine Mitstreiter aber, „dass es sich um einen Notfallfonds zur Krisenbewältigung handelt, also um eine einmalige Maßnahme, wie bei der Gemeinschaftsanleihe [der damaligen Europäischen Gemeinschaft] aus der Zeit der Ölkrise“.

Anders als von Deutschlands Konservativen befürchtet, geht es also nicht um den Einstieg in die allgemeine Vergemeinschaftung der Staatsschulden in Euroland. Dem hatte das Bundesverfassungsgericht schon 2011 einen Riegel vorgeschoben und erklärt, dass sich die Bundesrepublik „keinem unüberschaubaren, nicht mehr steuerbaren Mechanismus einer Haftungsgemeinschaft“ unterwerfen darf. Das wäre aber bei einer einmaligen, begrenzten Summe für den Krisenfonds auch gar nicht der Fall. „Warum sollte der Bundestag Haftung für 750 Milliarden gegenüber der KfW-Bank eingehen dürfen, aber nicht für die EU-Partner?“, hält IMK-Ökonom Dullien den Kritikern entgegen.

Inzwischen haben sich denn auch schon 13 der 19 Eurostaaten für den Krisenfonds ausgesprochen, bestätigte ein Beamter der Eurogruppe dem Journalistenteam Investigate Europe. Darunter sind auch Luxemburg, Slowenien, Belgien und Irland, die früher stets gegen Eurobonds votierten. „Wir fordern nicht die Vergemeinschaftung der öffentlichen Altschulden, sondern einen Rettungsplan, der von den europäischen Institutionen verwaltet wird“, versicherten die neun Großstadtbürgermeister und drei Regionalpräsidenten aus dem hart getroffenen Norditalien, um den deutschen Widerstand zu überwinden. Ministerpräsident Giuseppe Conte nahm sich sogar die Zeit für ein Interview mit der ARD, um den Deutschen die Lage zu erklären. Nur wenn die Eurozone gemeinsam handele, könne sie „im Wettbewerb mit den USA und China“ bestehen, mahnte er.

All das lässt die deutsche Kanzlerin bisher kalt. Eisern halten Angela Merkel und ihre Partei am Veto gegen die Corona-Bonds fest. Aber damit könnten sie bald schon allein in Europa stehen. In den Niederlanden zeigt der europaweite Druck schon Wirkung. Zwei der vier Koalitionsparteien von Ministerpräsident Rutte rebellieren gegen den bisherigen Kurs. Rob Jutte, der junge Anführer der sozialliberalen Partei „Demokraten66“ distanzierte sich demonstrativ und erklärte, „wenn wir den Ländern des Südens jetzt nicht helfen, wird es für niederländische Unternehmer nach der Krise nur wenige Möglichkeiten geben.“

Auch Gert-Jan Segers, Vorsitzender der kleinen konservativen Partei Christliche Union, forderte einen neuen „Marshallplan für Südeuropa“, genauso wie 60 führende Ökonomen des Landes. Selbst Minister Hoekstra, der Hardliner, zeigte Reue und räumte ein, „wir waren nicht einfühlsam genug, so ehrlich müssen wir sein“.

Solche Töne gab es in der Eurogruppe noch nie. So wachsen die Chancen, dass die Europäer sich am Ende doch noch rechtzeitig gemeinsam dem kommenden Tsunami entgegenstemmen. Käme es dazu, wäre Euroland anschließend stärker als je zuvor.


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