Wie “Covtech”-Überwachungsapps Bürgerrechte bedrohen

Polen ist das erste europäische Land, das eine Smartphone-App eingerichtet hat, mit der die Polizei überprüfen kann, ob eine Person die Covid-19-Quarantäne einhält.

Die App, zu Deutsch „Heimquarantäne„, wurde am 24. März veröffentlicht. Sie wurde von der privaten Firma TakeTask für das Digitalministerium entwickelt und ist kostenlos für Android und iOS verfügbar.

Im Moment richtet sich die App vor allem an Menschen, die gezwungen sind, in Isolation zu bleiben – entweder, weil sie aus einem anderen Land nach Polen gekommen sind oder weil sie mit einer infizierten Person in Kontakt waren. Es ist nicht bekannt, ob sie auch zum Tracking von Covid-19-Patienten in Quarantäne eingesetzt werden soll.

Wenn eine Person aus dem Ausland in Polen ankommt – an einem Flughafen, Bahnhof oder über die Autobahn – erhält sie eine Aufenthaltsgenehmigung und eine Karte mit einer Adresse, an der sie sich für vierzehn Tage in Quarantäne begeben muss. In dem Dokument wird auch erklärt, wie die App funktioniert: Jeden Tag erhält die Person zu zufälligen Zeiten eine Aufforderung, mindestens ein Selfie von zu Hause zu schicken. Die App kann allerdings auch mehr als ein Selfie pro Tag verlangen.

Wenn innerhalb von zwanzig Minuten das angeforderte Foto inklusive Ortsangabe nicht abgeschickt wurde, wird ein Alarm ausgelöst, und die Polizei kann die gemeldete Adresse aufsuchen, um zu überprüfen, ob sich der Bewohner an die Vorschriften hält. Personen, die sich nicht an die Aussgangssperre halten, müssen mit einer Geldstrafe von 6.500 Euro rechnen.

Wenn innerhalb von zwanzig Minuten das angeforderte Foto inklusive Ortsangabe nicht abgeschickt wurde, wird ein Alarm ausgelöst, und die Polizei kann vorbeikommen

Innerhalb von zwei Tagen wurden 3000 Personen in der App erfasst. In Polen stellen sich Leute nun die Frage, was TakeTask, ein privates Unternehmen, mit all den Daten, die es über Menschen sammelt, tun wird. Werden die Daten gelöscht, sobald die Coronavirus-Krise vorüber ist? Oder machen sie es wie andere Technologiekonzerne und nutzen sie für Targeted Advertising, – also auf Zielgruppen zugeschnittene Werbung -?

Tomasz Zielinski, ein professioneller Programmierer, der sich auf die Arbeit für öffentliche Einrichtungen spezialisiert hat, weist darauf hin, dass die Analyse des Quellcodes von „Heimquarantäne“ umstritten ist, denn – „xxxxx“. Die polnische Regierung hat bereits auf Zielinskis Blogeintrag geantwortet und erklärt, dass „der nicht notwendige Teil des Codes mit einem der letzten Updates der Anwendung entfernt wurde“:

Die App wirft große Fragen hinsichtlich der Bürgerrechte in Polen auf: Wie werden die Grundrechte von der polnischen Polizei garantiert? Eine Frage, die durch die mangelnde Achtung des Kaczynski-Regimes für die Rechtsstaatlichkeit an Dringlichkeit gewinnt.

Aber das Ganze ist nicht nur in Polen ein Thema, in ganz Europa gibt es einen Wettlauf um eine App, mit der Infizierte identifiziert und Ansteckungen vorgebeugt werden können. In Deutschland, einem der strengsten Länder in Sachen Datenschutz, gibt es eine heftige Debatte darüber, ob man die Datenschutzbestimmungen ändern und Covid-19-Patienten „nachspüren“ sollte.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn bereitete erst einen Gesetzentwurf zu einer entsprechenden Änderung des Infektionsschutzgesetzes vor, zog ihn dann aber angesichts der ablehnenden Haltung einer Mehrheit in der Regierung (vorerst) zurück.

Unterdessen arbeitet das Robert-Koch-Institut, eine führende Instanz im Bereich Krisenmanagement, gemeinsam mit dem Heinrich-Hertz-Institut an einer eigenen App. Diese App soll es ermöglichen, „die Nähe und die Dauer des Kontakts zwischen Personen in den vergangenen zwei Wochen zu erfassen und auf dem Handy anonym abzuspeichern“, erklärte eine Sprecherin des Hertz-Instituts.

Die App ermöglicht es, „die Nähe und die Dauer des Kontakts zwischen Personen in den vergangenen zwei Wochen zu erfassen und auf dem Handy anonym abzuspeichern“

Sprecherin des Heinrich-Hertz-Instituts

Die Deutsche Telekom arbeitet seit mehreren Wochen mit dem Koch-Institut zusammen. Sie stellt anonymisierte Daten über die Bewegungen von Menschen in Deutschland zur Verfügung. Bisher wurden schon 46 Millionen Deutsche erfasst. In der Lombardei in Italien ist es ähnlich, dort können Telefongesellschaften die Bewegungen der Bevölkerung allgemein verfolgen, nicht aber jene einzelner Personen.

Angesichts der Verschärfung der Krise in Spanien gehen auch die dortigen Behörden diesen Weg. Premierminister Sanchez hat die Entwicklung eines Algorithmus gefordert, der Menschenansammlungen an einem bestimmten Ort erkennen und einen Alarm auslösen könnte. Ein solches Gerät gibt es bereits in der Schweiz: Wenn im öffentlichen Raum 20 Smartphones gleichzeitig auf einer Fläche von mindestens 100 Quadratmetern geortet werden, wird ein Alarm aktiviert.

Diese Entwicklungen zeigen, wie der Umfang unserer Privatsphäre schrumpft, wobei diese Apps nicht darauf abzielen, Informationen über den Gesundheitszustand der Menschen zu sammeln.

Mehrere Start-ups in Frankreich arbeiten an Möglichkeiten, gezielt Gesundheitsdaten zu sammeln – nachdem Präsident Macron sie aufgefordert hatte, eng mit dem Pasteur-Institut zusammenzuarbeiten. In Frankreich sollen – auf freiwilliger Basis – Covid-19-Patienten beobachtet werden, um zu überprüfen, ob sie sich an die Ausgangssperre halten. Und zwar mithilfe von Apps, die in der Lage sind, andere Patienten in der Nähe zu finden.

„Wenn eine Person über die App meldet, dass sie infiziert ist, spürt der Algorithmus alle Personen auf, mit denen sie Kontakt hatte. Die erhalten dann die Nachricht, dass sie möglicherweise die Krankheit in sich tragen und werden aufgefordert, sich unverzüglich in Quarantäne zu begeben, wodurch die Übertragungskette unterbrochen wird“, erklärt Christophe Mollet, Direktor der Agentur ITSS, die das Programm CornAPP entwickelt hat. ITSS hat sie beim französischen Verteidigungsministerium eingereicht, das seinerseits eine Ausschreibung über 10 Millionen Euro für Innovationen gegen Covid-19 gestartet hat.

Im Vereinigten Königreich arbeitet der National Health Service (NHS) zusammen mit dem John-Radcliffe-Krankenhaus in Oxford an einer App zur Auffindung von Infizierten. Forscher in Oxford suchen nach Möglichkeiten, eine App zu entwickeln, die grundlegende bürgerliche Freiheiten wahrt.

Investigate Europe hat mit Dr. David Bonsall gesprochen, einem leitenden Forscher am Nuffield Department of Medicine der Universität Oxford und Arzt am John-Radcliffe-Krankenhaus: „Wenn ein Nutzer der Weitergabe seiner Daten zustimmt und im Gegenzug personalisierte Gesundheitsinformationen erhält, die ihn, seine Familie und andere gefährdete Personen schützen, hilft das uns allen dabei, Leben zu retten“.

„Es gibt eine Reihe von erprobten Methoden zur Verschlüsselung mobiler Daten“, sagte Dr. Bonsall. „Wir schlagen vor, dass die Person, die eine Warnung erhält, dass sie mit einem Erkrankten in Kontakt gekommen ist, nicht dessen Identität erfährt.“

Das Oxforder Team hat seine Ergebnisse den Regierungen von Norwegen, Island und Frankreich zur Verfügung gestellt. Dr. Bonsall gibt jedoch zu bedenken: „Um zu funktionieren, muss dieser Ansatz in ein nationales Programm integriert werden und darf nicht von unabhängigen App-Entwicklern programmiert werden.“

In der Tat können diese Algorithmen nur dann funktionieren, wenn die Menschen wissen, ob sie infiziert sind, daher sollten entsprechende Tests in den kommenden Wochen massiv ausgeweitet werden. Aus Großbritannien wird des Weiteren auch ein Anstieg bei Cyberkriminalität mit Bezug zu Covid-19 gemeldet. Die Menschen werden beispielsweise davor gewarnt, Apps herunterzuladen, mit denen sich angeblich Symptome analysieren lassen.

Als Italien eine Covid-19-Ausschreibung im Wert von 2,5 Millionen Euro veröffentlichte, reichten 170 Unternehmen Vorschläge ein. Datenschutz-Garantien gibt es dabei aber nicht, da die italienische Regierung erklärt hat, dass in einem nationalen Notfall entsprechende Bestimmungen für einen begrenzten Zeitraum „eingefroren“ werden könnten.

Das erinnert an die Situation in Südkorea, wo digitale Überwachungsmaßnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 in großem Umfang eingesetzt werden. Es erinnert auch an den Alltag in China, wo Telekommunikationsunternehmen (die alle öffentlich sind) Telefone verkaufen, bei denen eine entsprechende Ortungsfunktion bereits voreingestellt ist.

Datenschutz-Garantien gibt es nicht, da die italienische Regierung erklärt hat, dass in einem nationalen Notfall entsprechende Bestimmungen für einen begrenzten Zeitraum „eingefroren“ werden könnten

In China weiß der allgegenwärtige ,,große Bruder“ der Kommunistischen Partei Chinas, wer krank ist, wann diese Person das Haus verlässt und mit wem sie sich trifft. In Europa müssten für so etwas gesetzliche Mauern und jahrzehntelange Rechtsprechung zugunsten persönlicher Freiheiten und des Rechts auf Privatsphäre – zum Beispiel, was die Offenlegung eigener Krankheiten betrifft, niedergerissen werden. Aber um den Sturm des Coronavirus schneller vorbeiziehen zu lassen, sind die Regierungen bereit, für einen begrenzten Zeitraum auf die Achtung der Privatsphäre zu verzichten.

Doch die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ist da eindeutig: Die Verbreitung von Informationen über die Gesundheit der Bürger ist verboten (Art.9). Aber es gibt Ausnahmen: aus Gründen der öffentlichen Gesundheit und des nationalen Notstands sowie aufgrund von Sondergesetzen für eine begrenzte Zeit. Die Möglichkeit für solche Methoden, wie sie in China angewandt werden, besteht also.

Wichtig zu erfahren ist, ob dieser Verzicht auf unsere bürgerlichen Freiheiten wieder zurückgenommen wird. Die Antworten aus der Geschichte sind nicht ermutigend, in Frankreich zum Beispiel wandelte das Parlament am 1. November 2017 die nach den Anschlägen von 2015 eingeleiteten „außerordentlichen Maßnahmen“ in allgemeines Recht umwandelte und schuf so einen „permanenten Ausnahmezustand“.


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Klicken Sie hier für unsere Covid-19-Infografik die auf stündlich aktualisierten Daten der Johns Hopkins University basiert. Wir haben diese einzigartige Grafik erstellt, um Recherchen und ein besseres Verständnis der Situation in Europa zu fördern.